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Reformer mit gebremstem Schaum

Mieczyslaw Rakowski ist neuer Regierungschef in Polen  ■ P O R T R Ä T

Berlin (taz) - Es gebe - so erklärte vor kurzem ein höherer Angestellter des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) in einem Gespräch - eigentlich keine richtige Fraktion in der Partei, sondern nur Lobbys, die sich jeweils zu bestimmten Sachthemen zusammenschlössen. Die Theorie hat deshalb etwas für sich, weil die Aufteilung der führenden Genossen in Falken und Tauben, in Reformer und Konservative in Polen schon seit einiger Zeit ihren Sinn verloren hat. Der neue Regierungschef Mieczyslaw Rakowski ist das beste Beispiel dafür. In Deutschland gilt er überwiegend als Reformer, als der Mann des Ausgleichs, als der Parteiliberale schlechthin.

Rakowski hat dieses Image stets gepflegt und er hatte es auch zurecht. Aber das ist lange her. Vor allem in den 60er Jahren verdiente er sich sein Renommee als Liberaler, als er aus der Parteizeitung 'Polityka‘ eine der interessantesten Zeitschriften Osteuropas machte und sie zugleich vor der Einmischung der Neostalinisten unter General Moczar bewahrte. Dessen Gefolgsleute machten sich damals gerade daran, die Partei von „Zionisten“ und „Reformisten“ zu säubern - anders ausgedrückt, von Juden und der innerparteilichen Opposition.

Rakowskis Weigerung, sich an Moczars Judenhetze im Zusammenhang mit dem Sechstagekrieg 1967/68 zu beteiligen, hätte ihn damals fast den Stuhl des Chefredakteurs gekostet. Unter den Intellektuellen erwarb er sich damit das Image eines aufgeklärten Kommunisten, eines Mannes, „mit dem man reden kann“, auch als Oppositioneller. Rakowski schien also der Richtige zu sein, um 1981 einen Ausgleich mit der neuentstandenen Gewerkschaft Solidarität zustande zu bringen. Daß ihm das nicht gelang, hat er Solidarnosc bis heute nicht verziehen - und die Gewerkschaft ihm auch nicht. Viele Intellektuelle straften Rakowski nach der Verhängung des Kriegszustandes mit Verachtung. „Wäre er“, so meinten viele damals, „ein richtiger Liberaler gewesen, hätte er am 13. Dezember seinen Hut genommen.“ Statt dessen schrieb er ein Buch über Solidarnosc, in dem er der Gewerkschaft die Schuld an ihrem Scheitern gab.

Rakowski wurde zum Propagandist des Kriegsrechts, obwohl er ihm einen großen Karriereknick verdankte. War er 1981 noch Vizepremier gewesen, so brachte er es 1985 gerade noch zum repräsentativen, aber wenig einflußreichen Posten des Parlamentspräsidenten. Der Umschwung in Moskau half ihm wieder auf die Beine. Mit einem Geheimpapier, in dem er 1987 Jaruzelskis Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik kritisierte, schaffte er den Einzug ins Politbüro. Spätestens seit damals wurde er in Warschau auch als Anwärter für höhere Posten gehandelt.

Während der Streiks im Mai dieses Jahres als Jaruzelski auf Tauchstation ging, übernahm Rakowski die rhetorische Auseinandersetzung mit der Opposition. Manche sahen ihn da schon als neuen Parteichef. Seit langem schon gilt er als Befürworter radikaler Reformen, seine Phobie gegen Solidarnosc ist ihm aber geblieben. Für die Opposition und große Teile der Gesellschaft stand er fortan auf der anderen Seite der Barrikade. Und da ist er, trotz aller Imagepflege, bis heute. Seine Devise: wirtschaftliche Reformen ja, politische jedoch nur, wenn sie die Macht der Partei nicht in Gefahr bringen. In Interviews in den letzten Wochen hat er eine Legalisierung von Solidarnosc stets ausgeschlossen. Sein ZK-Kollege Jozef Czyrek war da vorsichtiger, von General Kiszczak ganz zu schweigen. Von daher sind mit Rakowskis Wahl die Chancen auf einen Kompromiß eher gesunken.

Klaus Bachmann

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