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Polizeiliche Allmacht - des Bürgers Ohnmacht?

■ Wie der Tod des Passanten dazu führte, daß serienweise Bürger in polizeilichen Gewahrsam genommen wurden

Berlin (taz) - Dienstag abend, Berlin-Tiergarten, Polizeigewahrsam in der Kruppstraße. Ich warte auf meine Mandantin, die bereits mehrere Stunden von der Polizei in einer Einzelzelle festgehalten wird. Vor der Tür meiner „Sprechzelle“ sehe ich einen Bereitschaftsrichter des Amtsgerichts Tiergarten vorbeischleichen, der gerade seinen Dienst antritt. Er soll darüber entscheiden, ob mehr als 100 Bürger weiter in polizeilicher „Vorbeugehaft“ gefangen gehalten werden dürfen. Der Mann hat kaum sein Zimmer betreten, als der Landespolizeidirektor Kittlaus erscheint, umgeben von einem Pulk sich wichtig gebender Polizeioffiziere. Sie führen in ihrer Mitte einen jungen Polizisten, der sich sichtlich unwohl fühlte. Es dauert einige Minuten, bis die Herren das Zimmer wieder verlassen und ich beim Richter vorsprechen kann, um auf eine sofortige Freilassung meiner Mandantin zu drängen.

Der Richter eröffnete mir, daß er aufgrund der ihm gerade von Kittlaus gegebenen Informationen von einer gespannten Sicherheitslage ausgehen müsse. Ein Passant sei am Rande eines Polizeieinsatzes einem Herzleiden erlegen, und die Polizei müsse jetzt damit rechnen, daß ihr der Tod des Mannes in die Schuhe geschoben werde. Angesichts dessen müsse davon ausgegangen werden, daß die Voraussetzungen polizeilichen Gewahrsams vorliegen (also Festhalten von Personen, ohne daß diese sich irgendetwas zu Schulden hätten kommen lassen). Er verwies auf den jungen Polizisten, den Kittlaus gleich als Zeuge herangeschafft hatte, und der offenbar Augenzeuge des Todes des Passanten geworden war.

Dienstag nacht sind serienweise Bürger durch Gerichtsbeschluß in Polizeigewahrsam gehalten worden. Sie waren nicht dabei, als Kittlaus den Richter „informierte“. Es war auch kein Vertreter ihrer Interessen dabei. Der Richter, ein junger Mann, dem plötzlich fünf gestandene Polizeiführer gegenüberstanden, und dem nach der Verfassung allein die Verantwortung für die Inhaftierung oblag, hatte überhaupt keine Chance, die Angaben der Polizisten zu überprüfen.

Man kann vielleicht verstehen, daß dieser Richter lieber einmal 100 Leute für einen Tag ihrer Freiheit beraubt, zumal jedes Rechtsmittel naturgemäß zu spät kommt, als das Risiko einzugehen, hinterher von Politikern und Polizei für Auseinandersetzungen verantwortlich gemacht zu werden. Der Fehler liegt wohl im System, das der Polizei das alleinige Informationsrecht eines Richters zugesteht, ohne ihn die Richtigkeit dieser Informationen überprüfen zu lassen. Eine wirkliche richterliche Kontrolle kann angesichts des Informationsmonopols der Polizei nicht stattfinden, die Polizei entscheidet letztlich selbst über die Frage der Freiheitsberaubung der Bürger. In anderen Rechtskulturen nennt man so etwas „Polizeistaat“.

Jonny Eisenberg, Rechtsanwalt

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