: Das angenehm riechende Gift
In der Bundesrepublik nimmt die Konzentration des gefährlichen Giftstoffes Benzol immer mehr zu / Teilweise wird in den Städten bereits das Vierzigfache der natürlichen Konzentration gemessen /Bislang unveröffentlichter Bericht für die Bundesregierung fordert eine Reduzierung des Benzolverbrauchs ■ Von Karl Nolte
„Das angenehm riechende Benzol ist sehr giftig. Nach längerem Einatmen kann über rauschartige Zustände und Bewußtlosigkeit der Tod eintreten.“ Soweit das Chemielehrbuch für Gymnasien über den Grundstoff aller „aromatischen Kohlenwasserstoffe“, wie diese Stoffgruppe wegen ihres charakteristischen Geruchs heißt. Wenn das „Beratergremium für umweltrelevante Altstoffe“ - kurz: BVA seinen Benzol-Bericht veröffentlicht wird beim Adressaten der Expertise der Bundesregierung wenig Freude aufkommen.
Benzol ist ein äußerst vielseitiges Gift: Bei hohen Konzentrationen in der Atemluft wirkt es innerhalb weniger Minuten tödlich. Kurzfristiges Einatmen bei einer Konzentration von 1.000 parts per million (ppm) führt zu „Störungen im Zentralnervensystem, die durch Verlust der Orientierungsfähigkeit... charakterisiert sind“. Und: Eine „Wirkung auf das Knochenmark ist nach wiederholter Exposition ab 50 ppm Benzol beobachtet worden.“ Benzol kann Veränderungen der Chromosomen hervorrufen. Es gibt eindeutige Beweise, daß Benzol auch das Immunsystem angreift, heißt es in einem Bericht, der beim Empfänger der Expertise, der Bundesregierung, wenig Freude aufkommen lassen wird. Das Datenmaterial für eine abschließende Bewertung sei jedoch nicht ausreichend, schreibt das „Beratergremium für Umweltrel evante Stoffe“ (BUA). Sie befürchten außerdem eine Zunahme des Risikos von Spontanaborten und der Geburt von Kindern mit angeborenen Störungen des Zentralnervensystems.
Die amerikanische Gesundheitsbehörde des OSHA hat die Benzol-Grenzwerte am Arbeitsplatz wegen dessen Gefährlichkeit auf 1 ppm herabgesetzt. Benzol, so sagt es auch die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie in der Bundesrepublik, darf deshalb nur an „sachkundige Personen“ abgegeben werden. Ausnahme: Ottokraftstoffe an Tankstellen, denn Benzol ist natürlicher Bestandteil von Benzin. Jährlich etwa 850.000 Tonnen des Giftstoffs füllen deutsche Autofahrer zusammen mit dem Kraftstoff in ihre Tanks. Aus dem Auspuff werden nach dem Verbrennungsvorgang nach sicherlich wohlwollenden Schätzungen des TÜV Rheinland 42.000 Tonnen Benzol in die Atemluft geblasen. Weitere 8.000 Tonnen kommen aus anderen Quellen hinzu. Die Chemiewirtschaft kann auf Benzol als Grundstoff (Jahresverbrauch in der BRD: 1,5 Millionen Tonnen) für die Produktion von Kautschuk, Farbstoffen, Harzen und Pflanzenschutzmitteln nach eigenen Angaben nicht verzichten.
Angesichts der Gesundheitsgefahren fordern die Verfasser des BUA-Berichtes deshalb: „Die Emissionsminderungstechnik muß weiterentwickelt und schnellstmöglich in die Praxis umgesetzt werden.“ Eine „wesentliche Minderung der Benzol -Emissionen“ könne aber „mit Sicherheit nur durch Abgasreinigung, Minderung der beim Tanken auftretenden Verdampfungsverluste und Reduzierung des Benzolgehaltes im Kraftstoff erzielt werden.“
Genau dort jedoch fangen die Schwierigkeiten an. Eine Senkung des Benzolanteils im Kraftstoff erscheint nur auf freiwilligen Beschluß der Mineralölindustrie realisierbar. Erst vor kurzem hat sich die EG mühsam auf einen Benzolanteil von höchstens fünf Prozent im Benzin geeinigt. Ein Alleingang der Bundesrepublik ist nach EG-Recht unzulässig.
Hierzulande beträgt der Benzol-Anteil im Kraftstoff knapp drei Prozent, eine mögliche weitere Absenkung auf ein Prozent kostet viel Geld. Karl-Wilhelm Lott, Shell-Sprecher in Hamburg, malt für diesen Fall „das Ende der Benzinproduktion in der Bundesrepublik“ an die Wand. Kollege Thomas Ukert von Esso hat ein weiteres Problem vor Augen: „Wohin sollen wir denn dann mit den jährlich anfallenden 500.000 Tonnen Benzol?“ Deshalb müsse das Problem von den Autoherstellern und der Bundesregierung angegangen werden.
In der Tat könnte der Benzol-Ausstoß aus Fahrzeugen um 90Prozent reduziert werden, wenn alle mit Otto-Motoren betriebenen westdeutschen Fahrzeuge mit Drei-Weg -Katalysatoren nach US-Norm ausgerüstet werden. Die sind aber im Schnitt um 1.000Mark teurer als die gängigen Kats nach Euro-Norm, welche Benzol nur geringfügig herausfiltern. Von 25 Millionen Benzinern, die am 1. Juli dieses Jahres zugelassen waren, sind nur knapp 1,5 Millionen mit Drei-Weg -Kat ausgerüstet. Und: Die Steuerbefreiung für diese Autos wird von Bonn derzeit Zug um Zug zurückgenommen. Nach Zweckoptimismus rückt da eine Prognose des TÜV Rheinland, der annimmt, daß bis zum Jahr 2000 der bundesdeutsche Benzol -Ausstoß aus Kraftfahrzeugen nur noch 9.000 Tonnen betragen werde.
Die Hoffnungen der Administration auf umweltbewußtes Verhalten der deutschen Autofahrer gründen sich sinnigerweise auf die zunehmende Luftbelastung in Großstädten. In vielen Ballungsgebieten sind mittlerweile Regelungen in Kraft getreten, die bei Smog-Alarm nur Autos mit Drei-Weg-Katalysatoren freie Fahrt gewähren. Je häufiger in Zukunft Fahrverbote verhängt werden müssen, desto rascher werde die Bereitschaft der Autobesitzer wachsen, den teureren US-Kat zu kaufen. Das jedenfalls glaubt ein Mitarbeiter des Kraftfahrzeug-Bundesamtes in Flensburg. Das Bundesumweltministerium (BMU) reagiert bislang nebulös auf Fragen nach dem Umweltgift Benzol. Ein Sprecher bleibt allgemein: „Wir sind bemüht, Fortschritte in der Reduzierung von Benzol-Emissionen zu erzielen.“ Konkrete Maßnahmen kennt der Sprecher nicht.
Vorläufig hält das BMU nach Auskunft seines Fachbereichs -Referenten Dr. Knobloch eine Benzolbelastung von 30 Mikrogramm je Kubikmeter Luft (entspricht 10 ppm) für tragbar. Einen 10-Mikrogramm-Grenzwert (entspricht 3 ppm) fordert dagegen die renommierte „Landesanstalt für Immissionsschutz“ (LIS) in Nordrhein-Westfalen auf Grundlage einer umfangreichen Benzol-Meßreihe in NRW. In verschiedenen Ballungsräumen - Castrop-Rauxel, Bottrop, Witten, Duisburg -Meiderich, Essen und Düsseldorf - liegen die Jahresdurchschnittswerte nämlich bereits beim Vierzigfachen des natürlichen Benzol-Gehalts der Luft.
Mit einem weiteren Anstieg der Benzol-Belastung der Luft muß gerechnet werden. Schließlich sei fraglich, so ein Experte aus dem Umweltbundesamt (UBA), ob das Benzol bei den gegenwärtigen Emissionen in den niederen Luftschichten der Atmosphäre so rasch abgebaut wird, wie neues hinzugelangt. Ob das der Fall ist, „weiß zur Zeit kein Mensch“, betont der UBA-Beamte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen