piwik no script img

Ein Höhepunkt olympischer Papierflut

■ Basketball-Finale (Frauen): USA - Jugoslawien 77:70 / Mehr cm für YUG, mehr Pts für "07 Donovan, Ann" und Co.

Aus Seoul Herr Thömmes

Die Zeiten sind endgültig vorbei, als Reporter mit Block und Bleistift loszogen. Das Frauenfinale im Basketball beispielsweise habe ich ganz einfach genossen, und mich dabei prächtig mit dem Nachbarn aus dem anderen Teil Berlins unterhalten. Trotzdem könnte mein Bericht ebenso detailliert ausfallen wie der von jenem Kollegen, der das Match aufgrund eines olympischen Schwächeanfalls verschlafen hat. Und alle würden denken, gute Güte, was war der Junge wieder fleißig.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, soll verraten werden, daß die ganze Arbeit hier von einem Computer erledigt wird, präzise und zuverlässig. Am Ende der Spielzeit halte ich zehn große Blatt Papier in den Händen, vollgedruckt mit Zahlen und Namen, und im Grunde besteht die Aufgabe nur noch darin, mit einem kunstvollen Satz den Artikel einzuleiten, um dann ein paar verbindende Worte in die geballten Fakten zu streuen.

Der Startliste z.B. läßt sich entnehmen, daß Jugoslawien (YUG) dem Korb am nächsten kommt: 184,2 cm groß sind die Spielerinnen im Schnitt, ein Vorteil von 1,9 cm, und bei der Starters‘ Average wächst das Problem der USA auf 3,5 cm. Als größten Brocken bringt YUG Razija Mujanovic auf das Feld: 201 cm, 102 kg, 21 Jahre, Center, und wie erfolgreich sie war in ihren 22:10 Minuten, zeigt die Match-Statistik.

Die Gute hat 11 Punkte auf ihrem Konto, 8 durch Feldwürfe (9 Versuche) und 3 mit Freiwürfen (4). Dabei war sie noch ganz gut im Rebound (4 defensiv/3 offensiv), wehrte 2 Wurfversuche ab, klaute USA einmal den Ball usw. Die ganz persönliche Bilanz der Mujanovic sieht ausgedruckt so aus: T.G.T 0/0; F.G. 4/9; F.T. 3/4; Pts 11; Foul 3; Rbnd O/D 3/4; X 1; AST 0; STL 1; VIO 0; LST 1; BLK 2; GDD 0; Time 20:10. Von Interesse ist noch, daß die USA in der Wurfsicherheit (46%/29/63) den YUGs voraus war (38%/53/ 20), bei den 3 -Punkte-Versuchen aber nur schlappe 0% als Erfolg zu Buche stehen.

Ich könnte die Einzelheiten natürlich auch getrennt für die 1. und 2. Halbzeit angeben, aber bedeutender ist zweifelsohne der Match Progress, ein Gesamtwerk von sechs Seiten, auf dem sekundiös die ganzen 40 Minuten aufgelistet werden. Hätte mich, nur mal angenommen, unmäßiger Genuß von Coca-Cola die Minuten 14, 15 und 16 auf die Toilette geführt, ich wüßte nun trotzdem alles: 30 Aktionen weist das Protokoll aus, vom verpaßten 2-Punkte -Wurf (14:01; YUG 10 Gollic, Sladjana) bis zur Ballwegnahme (16:59; USA 07 Donovan, Ann). Der Vollständigkeit halber nur noch soviel: das olympische Finale, Basketball, Frauen, hatte 399 (188/211) Einzelaktionen, wobei ich die Zahlen nur mit Vorbehalt weitergeben kann, denn diese Addition verweigerte die Technik; eine reine Eigenleistung des Reporters also.

So hilfreich der Computer auch sein mag, man neigt ein wenig dazu, sich zu verzetteln. Völlig unter den Tisch fallen könnte, daß die US-Amerikanerinnen das Minus an Zentimetern durch Gewandheit und spielerisches Geschick wett machten. Die YUGs sahen ziemlich tapsig aus gegen die drahtigen Athletinnen, und das Ergebnis spiegelt die unterschiedliche Klasse nun wirklich nicht wider.

Basketball-Gold also für die USA, und das soll auch so sein. Die Yankees haben das Spiel erfunden und von daher schon urheberrechtlich einen Anspruch darauf. Das sehen sie selbst auch so, weshalb die Halbfinal-Niederlage der Männer vom Vortag einer Tragödie gleichkommt. Und auch noch gegen die Russen! Von 85 Basketballmatches bei Olympia hatten sie erst eines verloren, 1972, auch gegen den Russ‘, aber dort war bekanntlich Betrug im Spiel. Nun ging jedoch alles mit rechten Dingen zu, für die Yankees ein glatter Angriff auf die nationale Souveränität, eine Unflätigkeit, als würde ich morgens beim Frühstück den Kollegen aus Houston mit den Worten begrüßen, „Ey, Alter, wie war's damals in Vietnam.“

Den Spielerinnen aus den USA war das schnuppe, die haben gefeiert und gejubelt, und ich hab‘ die zehn Blätter nach Hause getragen zu den anderen. Nicht weniger als 1.200 Fotokopien laufen ein pro Tag, und ich gestatte mir die Schlamperei, nicht alle zu lesen.

Aber gesammelt werden sie schon. 16 Tage Olympia, 19.200 DIN A 4-Bögen für mich ganz allein. Jetzt wird auch klar, warum Journalisten von den Sponsoren immer Taschen geschenkt bekommen. Sechs Stück hab‘ ich schon, sie werden kaum reichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen