: Verletzte Grundrechte und Menschen
■ Zum Abschluß der Aktionstage gegen IWF und Weltbank zogen der Ermittlungsausschuß und das „Büro für Stadtfreiheit“ Bilanz: Zahlreiche Festnahmen, brutale Knüppeleinsätze der Polizei, Verletzung des Grundrechts und der Versammlungs- und Pressefreiheit
Der Ermittlungsausschuß, der während der Aktionstage gegen IWF- und Weltbank rund um die Uhr besetzt war, um Meldungen von Polizeiübergriffen und Festnahmen entgegenzunehmen, zog gestern auf einer Pressekonferenz zusammen mit den autonomen Sanitätern und Vertretern des autonomen und antiimperialistischen Aktionstage-Plenums Bilanz (siehe auch letzte Seite). So wurden dem EA in der Zeit vom 25. bis einschließlich 30. September 963 Festnahmen von Leuten, die länger als zwei Stunden dauerten, bekannt. 24 Personen seien dem Haftrichter vorgeführt worden, in einem Fall sei Haftbefehl ohne Haftverschonung wegen schweren Landfriedensbruch erlassen worden, in sieben Fällen Haftbefehle mit Haftverschonung, in Schnellverfahren gegen drei Personen sei einmal eine Geldstrafe verhängt worden, die beiden anderen seien zu 15 beziehungsweise 21 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Der EA war erfreut, daß ihm fast alle Namen von Festgenommenen bekannt geworden sind und führte dies auf die Aufklärungsarbeit im Vorfeld sowie auf die solidarische Mitarbeit der Öffentlichkeit zurück: „Trotz massivster Polizeimaßnahmen“ habe sich gezeigt, daß „Berlin nicht als ruhige Konferenzstadt zu präsentieren war“.
Als „krassen Hohn auf den Rechtsstaat“ bezeichnete Anwalt Ströbele, daß es vielen nach ASOG Festgenommenen unmöglich war, von ihrem Recht auf Beschwerde Gebrauch zu machen. Ströbele verwies darauf, daß er für zwei festgenommene Mandanten einen sofortigen Freilassungsbeschluß beim Landgericht erwirkte. Doch selbst dieser Beschluß sei von der Polizei solange ignoriert worden, bis er durch den Ablauf der ASOG-Haftfrist nahezu hinfällig geworden sei. Ströbele will seinem Mandanten jetzt zu einer Strafanzeige gegen den verantwortlichen Einsatzleiter wegen Freiheitsberaubung raten. Die autonomen Sanitäter wollten über die Zahl der Verletzten keine Angaben machen, weil die tatsächliche Zahl wesentlich höher liege, als die von ihnen Behandelten. Viele Personen hätten durch den Gebrauch des neuen Polizeiknüppels „Tonfa“ Mehrfachverletzungen davongetragen.
Beobachter unterwegs
Eine Fülle von Grundrechtsverletzungen durch die Polizei, vor allem während der Aktionstage, konstatierte auch das Büro „Stadtfreiheit trotz Weltbanktagung“ auf ihrer gestrigen Pressekonferenz. Das Büro, getragen von zehn Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, darunter die Liga für Menschenrechte, die Humanistische Union, die Neue Richtervereinigung und die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger, hatte zeitweilig bis zu 80 „Beobachter“ unterwegs. Diese haben „eine Woche lang regelmäßig alle Demonstrationen und Aktionen beobachtet“. Mit scharfen Worten griffen die Vertreter des „Büros“ die Polizeipraktiken der letzten Tage und den politisch veranwortlichen Senator an. „Die Kriminalisierung des Demonstrationsrechts schreitet voran, durch Aushöhlung, durch brutale Polizeieinsätze und durch Auflagen“, erklärte der Vertreter der Berliner Strafverteidigervereinigung. In über 130 „Beobachtungsberichten“ ist eine ganze Kette von Grundrechtsverletzungen dokumentiert, von der Mißhandlung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Körperverletzung, Amtsmißbrauch bis hin zur unterlassenen Hilfeleistung durch die Polizei. „Vermummt waren hier nicht die Autonomen, sondern die Polizei.“ So seien Dutzende von Beamten zusätzlich zu ihrem Mundschutz mit Tüchern maskiert gewesen. Neofaschisten hätten am Rande von Demos ungehindert von der Polizei mitprügeln können. Auch die BVG habe wieder „Amtshilfe geleistet, indem sie für mehrere Stunden die U -Bahnhöfe im City-Bereich dicht machte.“
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