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Formaldehyd zersetzt Wehrkraft

■ Im Hamburger Kreiswehrersatzamt wird über Pickel und Schwindel geklagt

Hamburg (taz) - Was den Soldaten und Reservekommitees des linksradikalen KBW in den 70er Jahren nicht gelang, schafft die Bundeswehr jetzt spielend im Alleingang: Als massiver Anschlag auf die Wehrkraft erwies sich die Anschaffung neuer Aktenschränke im Hamburger Kreiswehrersatzamt. Seit die modernen, 5.000 Akten fassenden Großschränke im Dezember vergangenen Jahres angeschafft wurden, klagten die Beamten immer häufiger über Schwindelgefühle und Hautausschlag. Schuld daran war die Ausdünstung des Lösungsmittels. Welche Folgen das für die Arbeit des Kreiswehrersatzamtes hat. beschreibt Amtsleiter Werner Schiederski so: „Ohne Akten ist der Beamte ein Eunuch. Er weiß wie es geht, aber er kann es nicht machen.“ Leute, die ausgemustert werden sollten, erhielten Einberufungsbescheide, Tauglichkeitsuntersuchungen mußten wiederholt werden, weil zwischenzeitliche Erkrankungen nur in der Akte, nicht aber im Computer vermerkt werden. In drei Fällen mußten die Wehrerfasser sogar völlig passen und die Betroffenen aus ihren Fängen entlassen. Hinzu kam die Erkrankung von vier Mitarbeitern aufgrund der Formaldehyd-Verseuchung sowie die ärztliche Untersuchung der restlichen. Insgesamt herrschte ein veritables Chaos.

Trotzdem soll auf die neuen Schränke nicht verzichtet werden. Sie seien nämlich gar nicht überdurchschnittlich belastet, erklärt Schwiederski.

Das Problem sei dadurch entstanden, daß statt vorher 150 jetzt 5.000 Akten in einem Schrank aufbewahrt wurden. Die Ausdünstungen der Schwänke und der liebevoll in Klarsichthüllen verwahrten Akten habe sich vor allem über die Wochenenden zu einer wahren Giftwolke addiert.

Noch in diesem Monat sollen die Giftschränke nach dem Muster von Industriemaschinen eine Entlüftung nach außen erhalten.

Kai Fabig

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