: Machtkampf in Jugoslawien
■ Serbische Nationalisten rebellieren in Montenegro Jugoslawiens Parteizentrale gibt Druck nicht nach
Berlin (taz) - Titograd am Wochenende: Wieder waren Zehntausende fanatischer Serben auf der Straße, um ihrem Idol Slobodan Milosevic zuzujubeln und offen zur Gewalt gegen nichtserbische Bürger aufzurufen. Doch dieses Mal ist die Polizei schneller. Sie kesselt die Demonstranten erst einmal ein, um dann mit Tränengas und brutaler Härte gegen die Menge vorzugehen. Zurück bleiben eine verwüstete Innenstadt, 21 Verhaftete und unzählige Verletzte. So Augenzeugen gegenüber der taz, die nicht verhehlen: „Wir schwören Rache.“ Die offizielle Nachrichtenagentur 'Tanjug‘ spielt die Vorfälle herunter, meldet aber, 900 Studenten seien in Titograd in einen kollektiven Hungerstreik getreten, um die Freilassung der Verhafteten zu erzwingen.
Anders als die Parteiführung in der Wojwodina, die dem Wunsch nationalistischer Demonstranten nach einer serbischen Vormachtstellung in Jugoslawien wich, scheint die Parteiführung in der Hauptstadt der Republik Montenegro eine Konfrontation mit den Fortsetzung auf Seite 2
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Nationalisten zu suchen. Rückendeckung für diesen Machtkampf sehen die montenegrinischen Politiker in der Verlautbarung von Regierungschef Branko Mikulic, der erklärte, er werde sich gegen Milosevic stellen. Damit schwenkt die Regierung Jugoslawiens auf die Haltung lokaler Parteiführer um, die in Milosevic bereits einen neuen Mussolini sehen.
Die Worte, die die kommunistischen Politiker zwischen Ljubljana und Skopje verwenden, um ihre Gegner politisch kaltzustellen, hat das Maß an zumutbarer Kritik bei weitem überschritten, urteilt das Politblatt 'Danas‘: „Jugoslawien ist zu einem Schlachtfeld verkommen.“ Die Politiker würden ihren jeweiligen Anhang fanatisieren und aufeinanderhetzen. In Titograd stehen sich erstmals seit Kriegsende zwei Völker, die Montenegriner und die Serben, als Feinde gegenüber. Die Montenegriner fürchten um ihre Republik und scheinen das brutale Polizeivorgehen zu begrüßen. In Serbien wiederum lösten die Vorgänge Verbitterung aus, da wahllos Frauen und Kinder geprügelt worden seien.
Eine friedliche Lösung ist derzeit nicht in Sicht. Die jugoslawische Presse meldet, daß in mehreren Regionen Extremisten illegale Freikorps aufstellen würden, die ihre jeweiligen Landsleute mit Waffengewalt vor dem „verhaßten Todfeind“ schützen sollen.
Roland Hofwiler
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