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Barcelona, Olympiastadt 1992

Nach drei abgelehnten Bewerbungen bekam die katalanische Metropole vom IOC den Zuschlag: Die Geschichte einer Sportstadt und ihre „köstliche olympische Atmosphäre“  ■  Von Matti Lieske

Am 17.Oktober 1986 ergoß sich ein unaufhaltsamer Strom euphorisierter Menschen in die Straßen Barcelonas, überschwemmte Plätze, wimmelte die Rambla rauf und runter und lärmte, was das Zeug hielt. Noch hoch droben auf der Spitze des Tibidabo hallten die Trommelfelle vom Getöse Tausender Autohupen wider. Der Grund für diesen fulminanten Ausbruch kollektiver Glückseligkeit lag im fernen Lausanne. Dort hatte die Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gerade beschlossen, daß Barcelona die Olympischen Spiele 1992 austragen würde. Barcelonas Alcalde, Pasqual Maragall, hatte den ganzen Charme seiner 45 Jahre eingesetzt, um den Zuschlag für seine Stadt zu erreichen.

Ein geschickter Propagandafeldzug stimte das IOC günstig und trimmte die Bewohner der Stadt selbst auf Olympiakurs; doch die an Hysterie grenzende Freudeneuphorie, die der Entscheidung für Barcelona folgte, kann nicht allein dadurch erklärt werden. Der Sport hing in Katalonien schon seit jeher eng mit der Politik zusammen, und die sportliche Geschichte Barcelonas war vor allem eine Geschichte olympischen Scheiterns. Jede der ab gelehnten Olympiabewerbungen - die von 1924, die von 1936, die von 1972 - hinterließ Spuren in Form von Stadien und Sporthallen und in Form von Wunden im katalanischen Nationalstolz. Dabei hatte schon der Begründer der modernen Olympischen Spiele, der französische Baron Pierre de Coubertain, von der „köstlichen olympischen Atmosphäre“ der Stadt am Mittelmeer geschwärmt und begeistert ausgerufen: „Ich dachte eigentlich, ich hätte gewußt, was eine Sportstadt ist, bis ich Barcelona sah.“ Was ihn nicht daran hinderte, sein ganzes Gewicht dafür einzusetzen, daß die Spiele 1924 in seiner Heimatstadt Paris und nicht in Barcelona stattfanden.

Keine politischen Bedenken gegen Berlin 1936

1936 wäre es wieder fast soweit gewesen. Doch reaktionäre Funktionäre im IOC und auch im Nationalen Olympischen Komitee Spaniens trauten der jungen Spanischen Republik nicht über den Weg. Wegen „politischer Bedenken“ wurden die Spiele nicht nach Barcelona, sondern nach Berlin vergeben, gegen das die Olympier augenscheinlch nicht die geringsten „politischen Bedenken“ hatten. Eine skandalöse Entscheidung, die vor allem von den Organisationen des internationalen Arbeitersports nicht akzeptiert wurde. Und so wäre Barcelona schon damals beinahe zu einer Olympiade gekommen: Im „Museum für Leibesübungen“ in Prag hängen noch einige Plakate, welche zur Arbeiterolympiade aufrufen, die vom 19. bis zum 26.Juli 1936 im Stadion von Barcelona stattfinden sollte. 2.000 Sportler aus 17 Ländern waren angereist, als am 18.Juli der Angriff der Faschisten jeden Gedanken an sportliche Wettkämpfe vertrieb. In den Sporthallen schlugen anarchistische Milizen ihr Quartier auf; und während in Berlin Hitler seine Olympiade dazu benutzte, der Welt das nazistische Terrorregime als Verein harmloser Sportsfreunde zu präsentieren, kämpften nicht wenige Arbeitersportler bereits gegen Franco und seine Vasallen. „In Spanien war eben Bürgerkrieg“, erinnert sich Clara Thalmann, die eigentlich zum Wettschwimmen gekommen war und statt dessen in der Kolonne Durutti landete, „da war die Gegenolympiade unwichtig geworden, oder man kann sagen, sie fand an der Front statt.“

In Barcelona selbst gibt es durchaus Gegner des sportlichen Spektakels. „Schluß mit der olympischen Idiotie“, verlangen Grafiti an einer Markthalle im alten Stadtteil Grcia - doch allzuviele sind es nicht, die sich dieser unpopulären Forderung anschließen mögen. Zu schlüssig ist das Konzept, das die Olympia-Planer der katalanischen Metropole ausgeheckt haben. Die veranschlagten Kosten sind hoch, aber nicht horrend. Zwei Drittel der benötigten Anlagen existierten bereits vor dem 17.Oktober 1986, ein Prozentsatz, den kein anderer Bewerber zu bieten hatte. So reich wie kaum eine andere Stadt ist Barcelona mit Sporthallen, Stadien, Schwimmbecken und anderen Stätten der Körperkultur gesegnet.

Boxen in der

„Placa de Toros“

Wo diese nicht ausreichen, werden Lokalitäten mobilisiert, die auf den ersten Blick nicht unbedingt an Olympisches denken lassen: der alte Fischmarkt hinter dem Ciutadella -Park etwa, wo Badminton gespielt werden soll, oder Les Arenes, eine der beiden Stierkampfarenen. Wo sonst der „Tod am Nachmittag“ lauert, werden 1992 blaue Augen und ausgerenkte Kiefer die Szenerie bestimmen: die „Placa de Toros“ soll Schauplatz olympischer Boxkämpfe sein. Selbst der exklusive Royal Polo Club, wo die Nasen traditionell so hoch getragen werden wie nirgendwo sonst in Barcelona, wo aristokratische Hinterteile auf den Rücken blasierter Pferde thronen und die Symbiose von Blaublütler und Vollblüter zum Äußersten getrieben wird, erklärte sich bereit, während der zwei Olympia-Wochen die Tore seiner weitläufigen Anlagen dem gemeinen Volk zu öffnen. Soviel Großzügigkeit trieb den Delegierten des IOC schiere Tränen der Rührung ins Auge. Als dann noch bekannt wurde, daß zum Zeitpunkt der Entscheidung von Lausanne bereits 100.000 Freiwillige ihre Bereitschaft erklärt hatten, nur gegen freie Kost mitzuarbeiten, und 92 in- und ausländische Firmen die Kampagne finanziell unterstützen, natürlich in der Hoffnung, später beim Kampf um die Werbepfründe für 1992 bevorzugt behandelt zu werden, war die Sache für Barcelona gelaufen.

Das städtebauliche Konzept, das den Spielen zugrunde liegt, scheint attraktiv. Es soll kaum Zerstörung von Natur und Wohnraum geben; die klassischen Punkte der Kritik an der olympischen Gigantomanie sind nicht existent. Josep Miquel Abad, erster Exekutivsekretär des Organisationskomitees „Barcelona '92“, behauptet gar: „Es gibt keine einzige für die Olympiade geplante Investition, die wir früher oder später nicht ohnehin tätigen müßten - Spiele hin, Spiele her.“ Maßnahmen wie der Metro-Ausbau und die Errichtung des Olympischen Dorfes mit einem Park am Meer, dort wo heute noch Fabrikgelände, Lagerhallen und eine Eisenbahnlinie die Stadt von der See abschneiden, sollen allen Einwohnern Barcelonas zugute kommen. Hier wird sich allerdings mancher Spekulant eine goldene Nase verdienen. Den Grund und Boden sollen die mit den Baumaßnahmen beauftragten Firmen umsonst bekommen, mit erheblichen steuerlichen Vergünstigungen ist ebenfalls zu rechnen, nach den Spielen können sie die Gebäude in nunmehr exzellenter Wohnlage für teures Geld verkaufen oder vermieten. Dennoch, die städtebauliche Vision von der Anbindung der Stadt ans Meer trägt verlockenden Züge. „Wir könnten das Olympische Dorf natürlich billiger anderswo planen“, sagt Josep Miquel Abad, „aber jetzt haben wir die Chance, das Küstenprojekt zu realisieren. Sie ist zu gut, um sie zu verpassen.“

Auch die Restaurierung des alten Stadions von 1929 auf dem Berg Montjuic, das bislang als gespenstisches Mahnmal zerronnener Olympiaträume dahinvegetierte, und die Umgestaltung des Montjuic zum olympischen Zentrum sind Projekte, die später der Bevölkerung der sportbegeisterten Stadt bei ihren Leibesübungen zugute kommen werden. Wenn sich diese Maßnahmen mit Geldern amerikanischer Fernsehgesellschaften und werbewütiger Multis finanzieren lassen - um so besser für die Kassen der Stadtverwaltung.

Gekürzt aus: Barcelona diagonal; Ein Stadt-Lesebuch. Herausgeber Marta Giralt Rue; edition tranvia; 222 Seiten, 24,80 Mark.

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