St.-Jürgen-Wohnheim unter Genossen verramscht?

■ Für 550.000 Mark kaufte ASB-Geschäftsführer Fritz Tepperwien 1986 ein kommunales Schwesternwohnheim und vermietete Speisesaal, Flure und Abstellräume mit kräftigem Aufschlag an die Klinik, vertreten durch ASB-Mitglied Galla

Egon Kähler gehört zu einer Generation von Sozialdemokraten, über die man heute fast nur noch aus jenen leicht wehmütigen Sozial-Studien linker Professoren etwas erfährt, die sich Anfang der 70er Jahre unter dem Stichwort „proletarische Lebensläufe“ im einschlägigen Buchhandel größerer Beliebtheit erfreuten. Damals kamen die Bilderbuch-Genossen noch aus proletarischen Familien, bildeten sich nach dem Volksschulabschluß in der Volkshochschule weiter und begannen ihre Politikerkarriere als Parteikassierer.

Egon Kähler, geboren 1925, könnte zu den letzten Exemplaren dieses fossilen sozialdemokratischen Urgesteins gehören: hemdsärmlig, bodenständig, schlagfertig und trinkfest. Gestern saß Bremens oberster Fußball-Fan, Amtsvorgänger unseres heutigen Bürgermeisters als SPD-Bürgerschafts -Fraktionsvorsitzender und heutiger Geschäftsführer der „Bremischen Gesellschaft“ auf der Zeugenbank im Untersuchungsausschuß St.-Jürgen-Straße, um einen äußerst peinlichen Verdacht zu zerstreuen: Hat die Bremische Ge

sellschaft als kommunales Wohnungsunternehmen 1986 ein Schwesternwohnheim auf dem Gelände der St.-Jürgen-Klinik für 550.000 Mark an den Arbeitersamariterbund (ASB) „verschleudert“? Und: Haben die Genossen Fritz Tepperwien, Sprecher der Gesundheitsdeputation und gleichzeitig ASB -Vorsitzender, und Aribert Galla, Klinik-Verwaltungsdirektor und ASB-Vorsitzender im Bezirk Mitte, ihre Finger bei der Vermittlung des Deals im Spiel gehabt?

Alles Quatsch und ganz im Gegenteil, weiß Egon Kähler. Seiner

Aussage nach mußte die Bremische Gesellschaft 1986 geradezu froh sein, mit dem ASB überhaupt einen Käufer gefunden zu haben, der das ziemlich runtergekommene Wohnheim mit vier Gemeinschaftsklos und einer Badewanne je Zimmertrakt zum Buchwert von 550.000 Mark übernahm. Immerhin drohten der Bremischen nach Kählers Schätzungen monatliche Verluste von rund 60.000 Mark pro Monat, wenn nicht kurzfristig ein Käufer gefunden würde.

Gebaut hatte die Bremische das St.-Jürgen-Wohnheim 1961 im

Auftrag der Stadtgemeinde: Im Rahmen einer großangelegten Werbekampagne „Schwester Karin“ für mehr Krankenhauspersonal hoffte die Stadt durch günstige Mietpreise für Schwestern und Pflegerappartements zusätzliches Personal zu locken. Die Bremische baute für 755.000 Mark, das Liegenschafsamt mietete zu kostendeckenden Preisen, das Krankenhaus, vermietete unter Preis weiter an seine Mitarbeiter. Die Differenz wurde aus den Pflegesätzen der Krankenkassen bezahlt. Als die Kassen sich Mitte der 80er Jahre weigerten, Mietsubventionen aus ihren Beiträgen zu finanzieren, war das Debakel groß: Senat und Landeshaushalt drohten für das runde Dutzend kommunaler Wohnheime auf einem Defizit von 3 Millionen Mark pro Jahr sitzen zu bleiben. Gesundheitssenator und Bremische Gesellschaft fiel nur eine einzige Lösung ein: Sämtliche Wohnheime schleunigst abzustoßen. Gutachten über den Marktwert des Wohnheims wurden gar nicht erst eingeholt.

Ein solches Gutachten allerdings lag gestern dem Untersuchungausschuß vor. Auf rund 880.000 Mark schätzte ein unabhängiger Sachverständiger den „Verkehrswert“ des

3.884-Quadratmeter-Gebäudes incl. Grundstück. Selbst unter Abzug notwendiger Instandsetzungsmaßnahmen hätten rund 700.000 Mark „drin“ sein müssen. Kählers ungerührter Konter auf entsprechende Vorhaltungen: „Hat Ihnen Ihr Gutachter auch gesagt, wer den Kasten für den Preis gekauft hätte?“ Allerdings mußte Kähler einräumen, daß das Heim auf dem freien Markt gar nicht angeboten wurde.

Der hat nach Berechnungen des FDP-Abgeordneten Heinrich Welke einen Schnitt gemacht, bei dem „ich auch gerne zugegriffen hätte.“ Für 550.000 Mark kaufte er ein Wohnheim, das ihm heute einen Netto-Mietertrag von rund 80.000 Mark pro Jahr einbringt. Wie der ASB das angeblich „unrentierliche Objekt“ in die schwarzen Zahlen wirtschaftete, blieb Kähler gestern ziemlich rätselhaft. Welke hatte die Lösung parat: Er vermietete dem Krankenhaus St.-Jürgen-Straße, vertreten durch ASB-Mitglied Galla, Speisesaal, Nebenräume und selbst Flure des Wohnheims für 8 Mark pro Quadratmeter. Kähler verdutzt: „Nach unseren Berechnungen durften wegen der Kostenbindung des Heims höchstens 3 Mark pro Quadratmeter genommen werden“.

K.S.