: Zweiter Akt im Prager Machtkampf
■ Nach Regierungschef Strougal geht auch sein gesamtes Kabinett / Der Parteichef der tschechoslowakischen KP, Jakes, stärkt seine Position / Nachfolger für den Reformer Strougal noch nicht benannt
Prag (dpa/afp) - Einen Tag nach der plötzlichen Pensionierung des Prager Regierungschefs Strougal ist gestern auch dessen gesamtes Kabinett zurückgetreten. Die Entscheidung wurde nach einer zweiten ganztägigen Sitzung des Zentralkomitees (ZK) der tschechoslowakischen KP bekannt. In seiner Rede vor dem ZK hatte Parteichef Jakes Umbesetzungen im Politbüro, dem Parteisekretariat, dem Zentralkomitee selbst sowie in der Regierung der Tschechoslowakei und in der tschechischen sowie der slowakischen Regierung angekündigt. Jakes begründete die Umbesetzungen mit der „Notwendigkeit, neue führende Kader einzusetzen, um die drängenden Aufgaben eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbaus zu meistern“. Strougals Stellvertreter, der slowakische Regierungschef Peter Colotka, war am Montag ebenfalls aus dem Amt geschieden. Strougal war mit 18 Amtsjahren dienstältester Regierungschef Europas.
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zunächst noch offen, ob auch der konservative Parteiideologe Vasil Bilak seinen Posten räumen muß. Beobachter werteten eine Entscheidung über das Schicksal des oft als „tschechoslowakischen Ligatschow“ bezeichneten Bilak als Signal für den weiteren Kurs unter Parteichef Jakes.
Nachfolger Strougals könnte nach Einschätzung der Beobachter der Chef der tschechischen Landesregierung Adamec werden. Er steht Parteichef Jakes und Staatspräsident Gustav Husak nahe. Laut CSSR-Verfassung liegt die Ernennung des Vorsitzenden der Regierung und der Minister in der Kompetenz des Staatspräsidenten.
Solche und ähnliche Töne lassen darauf schließen, daß sich der Generalsekretär als der neue „starke Mann“ der Tschechoslowakei betrachtet und daß es ihm - zumindest vorübergehend - gelungen ist, im Zentralkomitee das Primat der Partei gegenüber der staatlichen Exekutive durchzusetzen. Sollten sich die Türen des Regierungskabinetts nicht in letzter Minute doch noch für einige Reformer öffnen, wäre mit dem Umsturz in der CSSR die Gefolgschaft des tschechoslowakischen Staates für Gorbatschows Reformpolitik vorläufig aufgekündigt.
In den Prager Zeitungen tauchte am Dienstag kein einziges Bild Strougals auf, keine einzige biographische Notiz über den Mann, der seit 1970 ununterbrochen an der Spitze der Prager Regierung gestanden hatte und als ein überzeugter Anhänger der sowjetischen Reformpolitik galt. Statt dessen waren zahlreiche Bilder sowie Erklärungen von Parteichef Jakes abgedruckt, der seit Dezember dieses Amt bekleidet.
Das Ende der Ära Strougal läßt befürchten, daß die Reformen in der CSSR nun von „linksorthodoxen“ Funktionären kontrolliert werden. Lubomir Strougal, der sich als einziger aus Alexander Dubceks Mannschaft in allen folgenden Regierungen halten konnte, hatte zwar in den letzten Jahren keine „Perestroika mit fliegenden Fahnen“ betrieben. Aber er hatte doch einen „Umbau mit Samthandschuhen“, vor allem in der Landwirtschaft angepackt.
Damit ist offenbar das Zentralkomitee dem Ruf nach einer Parteikonferenz nach dem Muster der Allunionskonferenz der sowjetischen Kommunisten ausgewichen.
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