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Und sie bewegen sich doch nicht

Ein neues Handbuch plant die Zukunft der Männer / Mit Pioniergeist die Vergangenheit hinter sich lassen  ■  Von Elmar Kraushaar

Zu den herausragenden Ereignissen dieses Jahres von Männern in Bewegung gehören zum einen die unflätigen Beiträge in einer Männerbeilage im Frauenmagazin 'Emma‘, gefertigt von einer Bande von Entblödern, die bis heute noch nicht ihren Kopf in den Sand vergraben hat. Der zweite Coup gelang „Werner“ mit seiner „guten Paadie“ im Nordischen, dem Massentreff mit zahllosen Zahnlücken mit Bierdose, die Sonja Kirchberger unter der Bettdecke für eine Offenbarung halten.

Von diesen Männern weiß der Autor Walter Hollstein alles. Und nichts, wenn er sie in seiner Version von „Männern in Bewegung“ unter den Tisch fallen läßt. In seinem gerade veröffentlichten Wissenssampler Nicht Herrscher, aber kräftig - die Zukunft der Männer hat Hollstein - natürlich ein Ausnahmemann, schließlich „bin ich nahezu ausschließlich von Frauen erzogen worden“ - all das zusammengetragen mit Akribie und manischer Enge, was wir schon lange über Männer wissen und nicht mehr hören können: die rituelle Wiederholung entfernt die Angesprochenen um ein weiteres von den richtigen Erkenntnissen. Im Zentrum des gebändigten Sammelsuriums von Daten, Fakten und Analysen über Männer und Männlichkeit steht die Frau. Sie hat ihn erzogen und in ihrem Aufbegehren in die Krise geführt, der Mann ist „verödet“ und die „Emanzipation der Frauen zwingt zum Handeln und Reagieren“. Das Ziel: die neue Partnerschaft mit „neuen Frauen“, „neue männliche Verhaltensweisen (...), die auf Respekt, Geschlechterdemokratie und Solidarität mit politischen und sozialen Forderungen der Frauenbewegung zielen“.

Soweit ist das Terrain abgesteckt und das Opfer der ganzen Anstrengung ausgemacht. Und dann wird überall ein bißchen genippt: Der Mann als „Herrscher der Welt“, ganz Jäger, Sammler und „Schöpfer der Kultur“, die Fehler des Mannes und seine Bedürfnisse, die Abspaltung der „weiblichen Eigenschaften“ und der Mann als „schwaches Geschlecht“, der Sexist, der Sensible, der Gewalttätige. Garant für all dies bessere Wissen sind dem Autoren die Frauen, aus deren Arbeitsergebnissen er sammelt und zitiert, um neu zusammenzufügen. Eine eigenständige „Männerforschung“, so bedauert er, steckt noch in den Kinderschuhen.

Doch nicht alles, was von Frauen kommt, paßt Hollstein ins Konzept vom schönen neuen Geschlecht. Ihm fällt auf, „daß die Kritik deutscher Feministinnen an den Männern besonders heftig ist, was mit der kurzen Demokratiegeschichte dieses Landes zu tun haben mag“. Gemeint sind damit all jene, die in ihrer Analyse vom starken Geschlecht so weit gehen, daß der arme Kerl nur noch verlassen im Regen zurückbleibt. Und gemeint sind damit Frauen wie Jill Tweedie, die „denunziert“, Germaine Greer, die „diffamiert“, Shere Hite, die „manipuliert“. Gegen solcherart Sexismus von der anderen Seite ist „Gegenwehr geboten!“ Aber selbst die wird, dem Autor zur Freude, ihm von den Frauen abgenommen: „Die Rückbesinnung auf weibliche Identität hat zu einer qualitativ anderen Bewertung von Frau-Sein, Mütterlichkeit und weiblicher Körperlichkeit geführt.“ Beweise: die „Carmen -Welle“ und die „eindeutige Feminisierung der Mode von 1988/1989“.

Bei allem Drang zur Vollständigkeit spart Hollstein Heikles aus: Zur Sexualität des Mannes fällt ihm nicht viel ein, ein paar Sätze hier, eine kleine Rechtfertigung dort. Er weiß von der Angst vor Hingabe und vom Zwang zur Kontrolle auch in der Sexualität, von der Homophobie und von den wilden Träumen, gerade noch lebbar außerhalb der Ehe.

Bei so viel Defiziten, Bruchstellen und ungenügendem Gebrauchswert muß, so Hollstein, der Mann sich ändern, und zwar sofort. Die Instanzen auf dem Weg zum kräftigen Nicht -Herrscher sind altbekannte Kopien aus der Zeit des Aufbruchs von Frauen: Männergruppen, -zentren, -therapien, -freundschaften, -welten. Mit großen Kinderaugen beschreibt der Autor „eine der ersten heterosexuellen Männerwohngemeinschaften der USA“: „(...)Wir sitzen beim Abendessen und über dem Pazifik versinkt langsam die Sonne.“ Und schwelgt in Erinnerungen an ein „Overnight-Camp“ unter seinesgleichen: „(...)Donovan-Lieder auf der Gitarre. Der Gruppenleiter macht uns auf Geräusche aus dem Wald aufmerksam(...). Einer berichtet von seinen traumatischen Erlebnissen in Vietnam.“ In solcherart Kaderschmieden initiieren sich die „neuen Brüder“, geheilt von „ihrer Frauen-Obsession“ und deutlich im „Bekenntnis gegen Männergewalt,(...)gegen die Konkurrenzgesellschaft und für unterdrückte Minderheiten wie zum Beispiel die Schwulen, für die Frauenbewegung und deren Ziele(...)“.

Augenfälligstes Fazit dieses Buches ist die Abwesenheit des Denkens, das keine Kategorisierung kennt, keine Handlungsanweisung, kein Ergebnis. Die Angst - beim genauen Hinsehen - vor dem Nichts bleibt ausgespart, die Konfrontation mit sich selbst ist nicht vorgesehen, solange nichts weiter zurückbleibt als ein unentwirrbares Bündel unbrauchbarer Männlichkeit. Die Rezeptur des Buches hingegen legt ein Tempo vor, jahrtausendealte Versäumnisse aufzuholen in den kurzen, verbleibenden Jahren, ehe die Frauen nicht mehr erreichbar sind.

Den aktuellen Stand männlicher Figuren faßt Hollstein in elf Kategorien: „Gestreßte, Desorientierte, Depressive...“ und so weiter. Den eindeutigen Sympathiezuschlag erhalten die „Veränderer“. Das klingt fast so wie Entdecker und erinnert an jene, die loszogen mit exakten Plänen, nicht einzutauchen in die blinden Flecken, sondern sie sich untertan zu machen. Bei so viel Pioniergeist bleibt nicht viel mehr als die Eingabe: Entlaßt mich aus diesem Geschlecht.

Walter Hollstein: Nicht Herrscher, aber kräftig, Hamburg 1988

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