AUSLEGEWARE GRUNDGESETZ

■ Matthias Deutschmanns „Einer flog über das Grundgesetz“ im Mehringhoftheater

Zwille sein Milljö: der Bundesinnenzimmermann mit gespannter Stahlschleuder und entsichertem Gesicht, eine Fotografie, die nicht Präservativ der Wirklichkeit ist, sondern Abbild und dazu plakatstiftend für Matthias Deutschmanns neues Programm Einer flog über das Grundgesetz.

Deutschmann will es wissen. Wie alles so gekommen ist, wie es jetzt ist: der Rechtsstaat in den Grenzen von 1977, Sekt und Opposition kaltgestellt; ein Weizsi-Bummbeizsi-Präses, der fließend deutsch spricht und damit ein Kontrastprogramm bildet zur Cafe-Kanzler-Demokratie; ein Generalbundesanwalt, der den deutschen Schäferhund als Wappentier im Gesicht trägt; Schrotschüsse, die ans Celler Loch gemahnen; ein Grundgesetz, das allenfalls als Fußmatte taugt, als Auslegeware. Wo kommt er her, der Hang zur deutschen Reinheit, zur Volksgesundheit, für die man gerne auch ein paar Millionen Endgelöste durch die Schornsteine jagt, während es im Kamin so gemütlich knackt und prasselt?

Deutschmann meint es ernst mit seinen Fragen, und er buddelt tief, auf die Gefahr hin, sich zu vergaloppieren, aber so, wie die Sache stehe, könne man alles machen, meint er, auch Fehler, nur die Schnauze halten, das könne man nicht.

Und so stapft er dann los durch die europäische Geschichte, Bloch, Benjamin, Gryphius und Trotzki im Gepäck, und auf den Lippen ein altes Landsknechtslied: „Ich komm weiß nicht woher, ich geh weiß nicht wohin, mich wundert daß ich fröhlich bin.„ Es ist klassisches Kabarett, beinahe altmodisch; Fragen stellen, Antworten versuchen, die wieder zu Fragen werden in den Köpfen der Zuhörer; die mehr paukenden und scharf publikumsbeschimpfenden Elemente seines letzten Programms Eine Schnauze voll Deutschland sind der Technik des Beim-Reden-Gedanken-Entwickelns gewichen, Deutschmann denkt laut vor, was er leise nachdenkt. Ab und zu lappt es etwas ins Predigende, Was äst där Mänsch?, der große Mann steigt auf eine Tonne, breitet die Arme aus, gibt Informationen weiter, erzählt Geschichten und kombiniert, bringt aktuelles Geschehen mit Geschichte in Reibung. Manchmal sind die Zuspitzungen nicht geschliffen genug, ist es zu sehr Vortrag und zu wenig fließendes Spiel, aber es lebt.

Der kompostmoderne Mensch, selbst nichts als eine traurige Folge einer ungeheuren Verdrängungsleistung, wird von Deutschmann enttäuscht sein, und wer das Aufzählen moralischer Selbstverständlichkeiten oder ähnlich christliches Gejaul mit Kabarett verwechselt, wird ebenfalls düpiert. Ein Geschwätz geht um in Europa, es heißt 'Lettre‘ und bläht den Traum von der paneuropäischen dritten Weltmacht, im Historikerstreit werden Faschisten weißgewaschen, Mussolini ist eine leckere Nachspeise und Hitler, so 'FAZ'-Fest, war ein fehlgeleiteter Maler; da ist es gut, einen Deutschmann zu haben, der mit kraftvoller Intelligenz die Möbel geradezieht.

wiglaf droste

Matthias Deutschmann: „Einer flog übers Grundgesetz“ bis zum 30.10. im Mehringhoftheater, täglich außer montags und dienstags, jeweils ab 21 Uhr.