Früh krümmt sich ein Häkchen

■ Premiere im Stadttheater Bremerhaven: „Das Nest“ von Franz Xaver Kroetz. Reiner Steinkamp sah sich genötigt, in dieser Inszenierung die theatrale Wirkung zu mardern

Kurt ist im Betrieb ein „kleines Würstchen“, zu Hause ein „dressierter Affe“. Er ist ein „Ja-Sager“, bis er entdecken muß, daß diese Schwäche sein „Nest“ tödlich gefährdet. Sein Nest ist die Familie, Frau Martha, der erwartete Nachwuchs, die Wohnung. Dort sitzen sie am Fernseher, sehen „Oberösterreich“ (von Franz Xaver Kroetz) und bestätigen sich in den wenigen Formeln ihrer Sprache, daß bei ihnen alles anders ist als im bösen Stück.

Der Wendepunkt kommt zufällig und von außen. Im Auftrag seines Chefs kippt Kurt, LKW-Fahrer, eine Fuhre Giftmüll in einen idyllischen See, das Wochen-Enddomizil der Familie, in dem zur gleichen Zeit die ahnungslose Martha den Neugeborenen badet. Das Kind kommt mit Verbrennungen ins Krankenhaus. Kurt, bisher ein Mensch mit festen Grundsätzen („Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will“), gerät ins Wanken. Er will sich das Leben nehmen, aber Martha hält ihn zurück.

Unter dem Druck der Umstände reden Martha und Kurt zum erstenmal offen miteinander. Kurt will das ewige Ja-Sagen wie ein „Unkraut“ aus sich herausreißen, er geht zur Polizei, zeigt sich und seinen Chef an, und

entdeckt die Kraft der Solidarität in den Gewerkschaften, für die er vorher kein Interesse zeigte. „Die Gewerkschaft sind viele“, ist der optimistische Schlußsatz dieses „kritischen Volksstücks“, das Kroetz in seiner heißen DKP -Phase 1974 geschrieben hat. Es ist dennoch kein plattes Agitationsstück.

Aber Regisseur Rainer Steinkamp hat auf der viel zu kleinen Bühne des „Kleinen Hauses“ kaum Platz, um ein sinnvolles Inszenierungskonzept zu realisieren. Kroetz‘ Stück besteht aus kurzen Sequenzen, gespielt an verschiedenen Orten, deren Elemente alle zugleich und möglichst naturalistisch auf die Bühne gebracht sind. So ist der Raum vollgestopft mit Möbeln und Podesten, zwischen denen die Darsteller mit einiger Mühe von Szene zu Szene wechseln. Der blanke Naturalismus wird bis in die Details beschrieben. Aber zwischen den Geräuschen des Alltags gehen nicht nur die Sprachmuster der ohnmächtigen Kommunikation verloren, schlimmer: Die Dialoge verlieren ihre Zwischentöne, und was sich beim Publikum einstellt, ist nicht Einfühlung und Erbarmen, sondern Gelächter über die Tölpel auf der Bühne. Sollten die Zuschauer über ihr

vorschnelles Lachen stolpern? Dann hätte Steinkamp den melodramatisch aufgeladenen Wendepunkt des Stücks sorgfältig ausspielen müssen.

Stattdessen läßt er Peter Singer (als Kurt) en passant ins Wasser steigen, das Reinigungs-Ritual des Vaters für den Sohn wird weg-und plattgespielt. In der jungen Schauspielerin Hildegard Schroedter steht Steinkamp eine überzeugende Kroetz-Darstellerin zur Verfügung. Wie sie spielen kann, zeigt sie in wenigen Augenblicken, wenn sie nicht neben Kurt stehen, sitzen oder in seinen Armen liegen muß. Aber neben dem blassen, überzogen gestikulierenden Singer und in dieser ungefähren Inszenierung haben ihr differenziertes Spiel, ihre verhaltene, genaue Mimik kaum eine Chance, sich durchzusetzen. Die ermüdenden pausenlosen Auf-und Abgänge zwischen den kurzen Szenen taten ein Übriges, um diesem „Nest“ den Reiz zu nehmen. Kroetz zu spielen, gerade in Bremerhaven, ist eine gute Idee. Aber warum so viel Angst vor seiner Wirkung haben, daß man dieser Mischung aus trivialem Rührstück und Passionsgeschichte alle theatrale Wirkung nimmt?

hans happel

20., 27., 28.10., 20 Uhr