KLASSENLOSER LUXUS

■ Auch der „Dschungel“ ist schon zehn Jahre alt

Siebenuhrfünfzig-Jahrfeier

„Donnerwetter! Wie die Zeit vergeht, ist doch so oder?“ Ja! Alles wird älter, wird zehn, bei so Dschungeln ist das schon alt, das ist wie bei Hunden, da mußt du in Hundejahren rechnen und ein Hundejahr gilt für sieben Menschenjahre und die taz wird nun auch schon zehn und bei Zeitungen zählen auch die Jahre in Tierjahren. Was für'n Tierjahr zählt jetzt bei der taz? Pferde. Denn ein Pferd wird 30. Die taz also zehn Jahre jetzt, Pferdejahre. Die Grünköppe übrigens auch zehn. Und bei denen zählen Sonnenblumenjahre wahrscheinlich. Das sind ja merkwürdige Zusammenfälle. Alle wern zehn und es zählt aber verschieden. Und nun möchte die taz gerne einen Bericht von zehn Jahren „Dschungel“ haben? Das wird schwierig werden.

Weil die letzten Male ham die mich da gar nicht mehr reingelassen. Das wird folgende Gründe gehabt haben: Schlichte Konfektion aufs nachdrücklichste mit einer nur geschulten, mit Sachverstand ausgestatteten Personen wahrnehmbaren Angetrunkenheit. Die resolute Einlaßkontrollörin blickte entsetzt auf meine Gebrüder-Manns -Sportschuhe und verweigerte mir den Einlaß. Ich zog beleidigt ab. Schlich weidwund ums Karree, verstellte mich, gab mich betonter, bedeutsamer und flog die nächste Angriffswelle. Aber die nette Kontrollörin kannte ihre Pappenheimer, sie wußte genau, wie man die Bierquallen aussiebt. Und nun war der Tag gekommen, wo ich eine herzliche - das stand da so - eine herzliche Einladung zum Jubiläum vorweisen konnte. Das hieß doch, diesesmal kommste egal wie rin. Ich genehmigte mir gegen nachmittag zunächst mal einen. Dann sann ich nach. Gegen sieben Uhr machte ich mich zurecht. Ich holte meinen Helanka-Rolli raus und pumpte mir vis-a-vis die Kordhose vom Nachbarn Bibliothekar. Dann setzte ich mein Hertha-BSC-Frottee-Stirnband auf und marschierte grölend in Richtung „Dschungel“. Dort hatten wir uns um acht Uhr herzlichst einzufinden. Mit Siebenuhrfünfzig war ich deutlich zu früh da. Ich wankte noch mal 20 Minuten in der näheren Umgebung umher, sammelte mich kurz vor „Woolworth“ und flog nunmehr die erste Angriffswelle. Sie hatten einen Teppich vor der Eingangstür ausgerollt. Icke defilierte zwischen den Lorbeerzierbäumchen vorbei auf die Kontrolle zu. Einlaß ohne Beanstandung! So.

Nun war der Unterschied zu sonst, daß es anstatt um zwei Uhr nachts bereits um acht Uhr abends gaskammervoll war. Darüberhinaus hatten die meisten der Gäste die Sache als Geburtstagsfeier aufgefaßt, was ja an sich auch stimmte und gar nicht verkehrt war, Jubiläum ist Jubiläum und Geburtstag ist Geburtstag und umgekehrt und nun schleppten die aber in Folge dessen bündelweise Blumenbuketts in den ohnehin überfüllten Sall rin. Bis heute ist mir ein Rätsel, wo diese Unmengen Blumen abgeblieben sind. Es war das eigentliche Wunder des Abends; das subtil verborgene Kulturprogramm sozusagen. Oder noch dicker: der telekinetische Knüller des Abends! Wo blieben die Blumen ab?

Zweites Wunder: Wo hatte sich das kalte Buffett aufgebaut? Es mußte eins da gewesen sein. Es gab Indizien. Ich beschwöre: Es wurden abgespeiste Teller abgeräumt, es lag stangenweise Stangenweißbrot in Stücken umher, welche aber, soweit das ging, auch abgeräumt wurden. Da machte ich des Staunens nicht müde werdend und jeglicher weiteren Überraschung mit erwartungsfroher Freude entgegenwackelnd, eine Runde auf sehen-und-gesehen-werden und verweigerte aber den Sekt (Dünnsäure). Nun kann ich das jetzt nicht bezeugen, aber später in der Nacht soll der Sekt alle gewesen sein und dann soll ein Wein ins Angebot gelangt sein, der - ich zitiere wörtlich! - wie's Moseltröpfchen, wie's heitere, ausgesehen haben soll und zwar „von weitem“! Nun, das kann jedem passieren, soll jetzt hier auch kein Vorwurf sein, nur wenigstens eine weiterverwertbare Information. (Wie der Witz hier von außerhalb des Dschungels: Welches waren die drei schwersten Jahre Bürgermeister Diepgens? Antwort: Sein zweites Grundschuljahr.) Dann meinte ich, genug gesehen zu haben, um eine Geschichte in der hier üblichen Artikelnormlänge zu schmieden. Jovialsten Schrittes, also ohne die allgemein übliche Art der krankhaft-hysterischen Art der Verabschiedung, ging ich raus, und dann setzte ich mich noch gemütlich in den „Nürnberger Trichter“, wo inzwischen das Karma der Nürnberger Straße untergekommen ist, und verkasematuckelte in aller Ruhe mit viel Atemluft und bei freundlicher, aufmerksamer Bedienung ein großes Bier.

T.K.

Ganz normal Fieber

Schon mittags in meiner bevorzugten Second-Hand-Boutique gibt es kein anderes Thema. Einer soll sich extra für diesen Anlaß einen Smoking gekauft haben. Das finden nun andere übertrieben, und sie würden höchstens in Sack und Asche hingehen, wenn sie hingehen würden. Tun sie aber nicht, sie sind nämlich nicht eingeladen. Ihr Pech: Heute nämlich trennt die rot-gold-glitzernde Einladungskarte in dieser Stadt die Spreu vom Weizen. Ach, wer nicht alles eingeladen ist: Viele andere und Gloria von Thurn und Taxis, aber die kenne ich nicht. Der rote Teppich vor der Tür ist aber nicht nur für sie ausgelegt, da darf heute jeder Vorsortierte drüberlatschen. Marianne Rosenberg - keinesfalls Stammgast gehört dazu: Ihr rotes Outfit macht sich besonders gut zum roten Teppich, den könnten sie eigentlich immer auslegen. Handschlag und Gratulation bei den Chefs, die an diesem besonderen Abend die Auswahl der Gäste persönlich vornehmen. Drinnen wird der Sekt tablett- und flaschenweise unter die Leute gebracht, am Büffett ist es schon ziemlich eng, und irgendwo krabbelt ein Kind, um die vier Jahre alt und herausgeputzt wie zu Opas Achtzigstem. Es gehört einem der Besitzer, und - keine Frage - unsere Kinder sollen es mal besser haben. Bei seinen wird's wohl stimmen, denn der „Dschungel“ läuft seit zehn Jahren wie geschmiert, weil er eben mehr ist als eine Disco, nämlich eine Institution und als solche von kulturell prägender Bedeutung.

Der „Dschungel“ setzte Zeichen, nicht nur innenarchitektonisch. Als alle Welt noch unter Omas Trödellampe Bocholter schluckte, vollzogen sie schon die Wende zur neuen, kühlen Sachlichkeit. Cool wie das neue Herrenparfüm, das auch an diesem Abend wieder literweise zur Ausdünstung gelangte, war schon immer der Umgangston dort, auch er stilbildend. Überhaupt war ja der „Dschungel“ die radikale Trendwende hin zum ungezügelten Luxus. Die Humpe -Sisters dürfen da nicht fehlen - ebensowenig wie meine frühere Studienkollegin, meine ehemalige Wohngemeinschaft und ein paar andere Leichen meiner Vergangenheit. Leider waren sie nicht vollzählig vertreten, aber ansonsten muß so ein Klassentreffen sein oder eine Familienfeier: Wer noch da ist, ist auch zur Stelle. Wir sind zwar alle älter geworden, aber halten uns wacker am Glas fest - schließlich ist heute der ganze Luxus mal umsonst, was gegen Mitternacht schon zu Stileinbußen führt, die sonst gar nicht typisch sind für dieses Etablissement.

Übermäßig aufregend ist es ja nicht, soll das das Alter sein? Nein, wir kennen sie alle schon. Es ist heiß, aber die Luft ist raus: Der „Dschungel“ hat seinen Stil gefunden, den zieht er jetzt durch. Was ungebrochen lebt, ist der Mythos, daß es hier passiert. Das war vor zehn Jahren nicht anders, bloß nicht so offensichtlich: Schon immer kamen hier auf einen Entdecker mindestens zehn noch schlummernde Talente, die entdeckt werden wollten. Das hat zwar nicht bei allen geklappt, aber auch keinem geschadet, denn den Ruf konnte man sich noch nie verderben, wenn man in den „Dschungel“ ging: Weil er das einzig geglückte Projekt dieser Stadt in Sachen Klassenlosigkeit darstellt: Hier trafen sich Hausbesitzer und Hausbesetzer. A propos: Jenny - die mit der Ratte auf der Schulter - war gar nicht da. Wie's der wohl geht?

Lutz Ehrlich