piwik no script img

VIRUS, VIRUS, WO SIND DEINE REGIONEN!

Wer erliegt heute noch dem Reiz der Kunst? Wer sollte heute noch gegen einen harmlos gewordenen Eindringling Resistenz entwickeln?

Damit die Kunst überhaupt noch wirken kann, müssen Ansteckung und Infektion die letzte große Aufgabe der Künstler dieser Tage sein. Ihm kommt es zu, jeden Kunstinteressierten mit tödlichen Krankheiten zu infizieren und in letztes Erstaunen zu versetzen.

Dazu ist es unerläßlich, von den insprirativen Räumen zwischen Bild und Betrachter Abschied zu nehmen und sich auf die biochemischen Schleichwege der Viren zu besinnen. Sie sind die neuen Strecken einer veränderten Kommunikation, ohne Titel und Bilder. Es wird nicht mehr nach überlappenden Schnittmengen gemeinsamen Wissens gefragt, sondern nach dem Angeschlossensein an ein vitales Netz konspirativ programmierter Mikroben. In solch einer Welt der totalen Infektion macht sich jeder, der noch mit hausgemachten Zeichen tingeln geht, zu einem für immer Unverstandenen aus vergangenen Zeiten.

Für Baudrillard hat die „Technik als Prozeß der Auflösung der symbolischen Welt“ ihre Funktion, und so gibt er auf der Linzer „Ars Electronica 88“ zu bedenken: „Warum noch miteinander reden, wenn es so leicht ist, miteinander zu kommunizieren!“

Die Metaphern werden von den Erregern abgelöst, denn das den Viren eingeschriebene Programm malt sich das Bild im Adressaten selbst. Die Kunst spielt keine Rolle mehr. Jeder Künstler ist ein Mensch, und als solcher hat er die gleichen Anschlüsse wie alle anderen auch. Seine seit Jahrhunderten unerforscht gebliebenen Inspirationskrankheiten sind durchschaut und besiegt. Die neuen Sprachen benötigen keine Abbildungen und Worte mehr. Uns bleibt noch die Rolle als Übertrager, dem die mitgegebenen Botschaften selbst fremd bleiben. Der so degradierte Künstler wird zum operettenhaften Kellner in den Epidemien.

William S. Burroughs hatte die Idee, daß das Wort des Killervirus über die Affen kam und als „Auslöser für das gesprochene Wort fungiert hat. Als Virus ist es jedoch nicht erkannt worden, weil es mit dem Wirtsorganismus eine stabile Symbiose eingegangen ist, die heute erst aufzubrechen scheint. Die Viren bauten den sprachunfähigen Affenkehlkopf um und schufen Menschen,... bei denen die bösartige Krankheit eintrat.“ Wir als befallener Wirt haben unsere Parasiten, die Sprache, mit uns selbst verwechselt, bis heute. Um sich vermehren zu können, mußte das Wort in den Menschen eindringen. Dort übernimmt es das Kommando. Es zwingt die Menschenzelle entgegen ihren eigenen Lebensinteressen, auf Teufel komm raus immer neue Worte zu produzieren. So ruiniert das Wort seinen Wirt. Aus der Sicht eines Wortes ist der Mensch nichts weiter als ein riesiger Nährklumpen. Es scheint, als hätte das irritierte Immunsystem Aids das gleiche Fehlersystem wie unsere gesamte Sprach- und Schriftkultur. (Richtig, jetzt sind die „zivilisierten“ Menschen in ihren eigenen körper- und materiegebundenen Sprach- und Gefühls-Programmen gefangen. Aids bricht diese Mauern auf, um uns zu zeigen, daß Liebe ein grenzauflösendes seelisches Verschmelzungs-Phänomen ist. Sind wir zu keiner Öffnung in Liebe bereit, sprengt Aids eben die Grenzen unseres Körpers. Meines Erachtens kommt es auf eine Neuprogrammierung des gesamten menschlichen Nervensystems an. Schaffen wir diese Neuprogrammierung in Richtung Angeschlossensein an die Urquelle, haben wir noch eine Chance zum Überleben; wenn nicht, scheint der Untergang der menschlichen Rasse unwiderruflich - d.S.) Vom gemalten Höhlenzeichen bis zum Buch von Kittler, dem das Burroughs -Zitat entstammt, scheinen die geistigen Glanzleistungen unserer Kulturgeschichte nichts anderes zu sein als die nicht erkannten Symptome der Jahrmillionen währenden Inkubationszeit. Eine zuendegehende Krankengeschichte. Wunderbar! Wir sind über den Berg.

Die Verständigung der Viren im interzellaren Kosmos hat eine geheimnisvollere Sprache entwickelt, als wir metaphernbefallene Zellhaufen uns je vorstellen können.

„Es geht nicht darum, einen Körper zu haben oder ein Körper zu sein, sondern daran angeschlossen zu sein.“ Dies ein Zitat aus dem Baudrillard-Referat auf einem Symposium über „Philosophen der neuen Technologie“.

Da entsteht Neugierde auf die unterschiedlichen Schnittstellen von Infektionen einerseits und Sensationen andererseits. Da werden die Augen und Ohren zu Schleimhäuten der Übertragung. Die Netzhaut ist der Ort eines bildnerischen Befalls, der sich über die Bahnen des Sehnervs einschleust und zu heimtückichen Wucherungen der Einbildung führt. Das Wort und der Ton, beides Parasiten der stillen Luft, dringen über das Trommelfell in unseren Körper und hintergehen als Ohrwürmer unser überfordertes Abwehrsystem. Genau wie die schmarotzenden Viren sind Bilder und Begriffe lebensunfähige Organismen mit ärmlicher Ausstattung, die keine Energien aus sich selbst gewinnen können und uns als Wirtszellen zum Überleben brauchen.

Auch bei Computer-Viren war zunächst die Rede von Würmern, also Bildern aus dem Makrokosmos. Das kann darüber hinwegtäuschen, daß diese „logischen Bomben“ gemachte sind. Sie bestehen aus einem Infektionsteil: 1. Selfreproduction, dieses Programm ist in der Lage Kopien von sich selbst herzustellen und diese Kopien in andere Programme einzupflanzen; und einem Aufgabenteil: 2. Functionality, diese Manipulationsfunktion ist als geschriebenes Programm in der Lage, eine genau definierte Aufgabe auszuführen. Ein Beispiel:

Programm V::

TAG;

subroutine INFECT::

Loop: file: get-any executable-file EXEC;

if first-line-of-line tag then goto loop;

copy Virus-V into exec-file;

subroutine FUNCTION::

execute a certain function

Main Program::

INFECT;

FUNCTION;

goto continue;

continue:

Das Virusprogramm startet zunächst ein Unterprogramm INFECT und sucht in anderen Ausführungsprogrammen EXEC-files die Startzeile. Ist das Programm schon befallen, sucht das Virus so lange weiter, bis ein nicht infiziertes EXEC-file gefunden ist. Dort setzt es sich fest, reproduziert sich selbst, pflanzt sich unsichtbar fort. So laufen in dem Programm verdeckte Operationen ab, die als „trojanische Pferde“ bezeichnet werden.

In Linz erzählte uns Hannes Böhringer auch vom trojanischen Pferd und machte den Künstlern Mut: „Kunst fängt da an, wo die Maschine zu Bruch geht. In der Amechanie (Ohnmacht) ist der Ort der Sprache. Wir leben in der Ausweglosigkeit, weil die Technik immer nur entweder oder sagt.“ Kittler, der schlicht und einfach gar nichts Gutes über die Kunst zu vermelden hatte, schien das auf die Nerven zu gehen: „Symposien dieser Art sind Immunisierungstechniken“, war sein schroffes Schlußwort. Jean Baudrillard trug noch eine kleine Geschichte der Schädlinge vor. Sie schildert den Wolf als einfachen Fall, der sich gradlinig auf uns zu bewegte, und vor dem wir uns noch mit Mauern schützen konnten. Ratten, die sich in zweimal gekrümmten Räumen zu bewegen wissen, wurden wie die noch clevereren Kakerlaken erfolgreich durch Hygiene bekämpft. Den Viren gegenüber sind wir noch ratlos. Das kürzliche Auftauchen elektronischer Viren stellt für Baudrillard eine bemerkenswerte Ausnahme dar, weil sie ihre eigene Zweckmäßigkeit durch eigene Operationen zunichte machen. „Eine ironische und spannende Wendung, in der sich die künstliche Intelligenz in ihrer neuesten viralen Pathologie selbst parodiert und so eine Art wirkliche Intelligenz entwickelt.„Bekennen wir uns dazu: Homo homini virus est.

Bibliographie: Die in Linz gehaltenen Referate von Hannes Böhringer, Heinz von Förster, Vilem Flusser, Friedrich A. Kittler, Peter Weibel und Jean Baudrillard werden in einem Merveband zusammengefaßt.

Grammophon, Film, Typewriter; F. Kittler, Brinkmann & Bose, Berlin 1986.

Das Chaos Computerbuch, Hacking made in Germany; Krieg der Computerprogramme von Matthias Lehnardt; Verlag Wunderlich 1988.

1. Kristalle des Bushystunt-Virus;

2. Poliomyelitis-Virus, schrägbedampft;

3. Influenza-Virus A2, negat., Kontrast mit Phosphorwolframsäure;

4. Mäuse-Leukämie-Virus, Knospung aus der Wirtszelle, Ultradünnschnitt;

5. Schematischer Querschnitt der Mäuse-Leukämie-Virus;

6. Papova-Virus, negat., Kontrast mit Phosphorwolframsäure;

7. Adeno-Virus;

8. Epstein-Barr-Virus;

9. Herpes-Virus

Aufnahmen: F. Balthaus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen