: Jugoslawien-betr.: "Jugoslawien: Niemand wagt eine Prognose", taz vom 10.10.88
betr.: „Jugoslawien: Niemand wagt eine Prognose“, taz vom 10.10.88, Seite 7
'FAZ'-Leser suchen in ihrer Zeitung die Prognosen der Mächtigen und deren Therapieplan. Politische Situationen werden von der taz nicht als Strukturprobleme erklärt; die politischen Gruppierungen nicht nach Programmen unterschieden; „Programme“ werden auf ihren ideologischen Charakter hin hinterfragt.
'Mladina‘ (Die Jugend), eine slowenische kritische Wochenzeitung, deren Erfolg ermöglicht, daß sie in den anderen jugoslawischen „Ländern“ gelesen wird, denkt an Erscheinen in anderen jugoslawischen Sprachen. Sie ist verbunden mit der Entwicklung von Reformströmungen, die in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich sind. Die Konservativen untereinander - sehr andere als im Westen sind sich nicht einig, außer in Serbien.
Wovon sonst werden die westlichen Zeitungsriesen schreiben als von einer Balkanisierung, von einer Libanisierung Jugoslawiens, und in ihren Wirtschaftsteilen wird dieses Land als neuer Kapitalmarkt, als neue außenpolitische Einflußsphäre, nein, als notleidendes Gebiet geschildert werden, in dem sich der rettende Einfluß des jeweiligen Vaterlandes engagieren muß, sei es England, Frankreich, Deutschland oder die USA, Rußland oder gar China - in diese Richtung geht auch Hofwilers Bericht. Miha Kovac ist nicht zum Kampf bereit, nicht zur gewalttätigen Auseinandersetzung. Aber das wird hier mit Nicht-Einmischung gleichgesetzt und auf die Ironie der Worte wird nicht eingegangen: „Ich mische mich nicht mehr ein, wenn Jugoslawien zu einem balkanischen Libanon zerfällt.“ Der Pazifismus der slowenischen kritischen Generation ist nicht Passivität. Ihr Mittel ist Glasnost, Offenheit, ihre Gefährdung Überheblichkeit.
Außenstehenden sind die Gegensätze des im Krieg wiedergeborenen Jugoslawien schwer erkennbar, schwer verstehbar; sie scheinen die Entwicklung zu einem Bundesstaat unmöglich zu machen.
Philipp Wambolt, Birkenau
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