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Metallgewerkschaft auf Erneuerungskurs

Der träge Supertanker IGMetall will umsteuern: Der Kongreß „Die andere Zukunft“ soll Ausgangspunkt für eine programmatische Modernisierung werden / Nach langer Blockade wird nun über eine ökologisch ausgerichtet Produktion und Bündnisse mit neuen sozialen Bewegungen nachgedacht  ■  Von Martin Kempe

Berlin (taz) - So wie damals, 1972 in Oberhausen, soll es diesmal gerade nicht kommen. Seinerzeit hatte die Industriegewerkschaft Metall (IGM) die fortschrittliche Intelligenz zu einem Kongreß geladen, um Anregungen für ihre innere Diskussion, ihre programmatische Modernisierung zu erhalten. Aber das Vorhaben scheiterte kläglich: Zwar wurden schon damals von der Umweltproblematik bis zu den sozialen Folgen der technischen Revolution die Probleme beschrieben, die noch heute auf der Tagesordnung stehen. Aber die Gewerkschaft war nicht in der Lage, daraus für ihre eigene Diskussion Gewinn zu ziehen.

Ende des Monats veranstaltet die IGMetall wieder einen Großkongreß mit WissenschaftlerInnen aus dem In- und Ausland unter dem Motto: Die andere Zukunft. Solidarität und Freiheit. Dieser Kongreß soll, so der IGM-Vorsitzende Steinkühler, Ausgangspunkt für eine umfassende programmatische Modernisierung der größten Einzelgewerkschaft im DGB sein. Inzwischen zeichnet sich die Richtung dieses Modernisierungsprojekts ab: Es ist eine programmatische Erneuerung in den Farben Rot-Grün, die auf ein soziales Bündnis zwischen Gewerkschaften und neuen sozialen Bewegungen zielt.

Nach mehr als zehn Jahren Abschottung gegenüber der Ökologiebewegung spricht nun der Vorsitzende Franz Steinkühler in einer im September erschienenen Sondernummer des Funktionärsorgans 'Der Gewerkschafter‘ von der Notwendigkeit, „die Produktion ökologisch“ auszurichten. Er plädiert für die Erweiterung der Mitbestimmung auf die Inhalte der Produktion und stellt den Verzicht der Gewerkschaft in Aussicht, „Geschlechterrollen und -räume festzulegen“. Die traditionelle Fixierung der Gewerkschaften auf kollektive Problemlösungen, in denen die Individualität der einzelnen eher geduldet denn gefördert wird, wird in Frage gestellt: „Eine der zentralen zukünftigen gewerkschaftlichen Aufgaben ist es, die im technischen und sozialen Umbruchprozeß angelegten gesellschaftlichen Spaltungen durch eine neue solidarische Politik zu verhindern und statt dessen den Chancen für mehr Individualität und persönliche Entfaltung der Menschen zum Durchbruch zu verhelfen.“ Individualinteresse und Kollektivinteresse müssen „neu zusammengeführt werden“, heißt es in Steinkühlers Beitrag im Vorfeld der Konferenz.

Noch deutlicher als der Vorsitzende wird sein persönlicher Referent Karlheinz Blessing in einem Beitrag über „gewerkschaftliche Reformpersektiven“ in der wissenschaftlichen DGB-Zeitschrift 'WSI-Nachrichten‘. Blessing konstatiert die Verschiebung „gesellschaftlicher Konfliktlinien“ von den „Klassenfragen“ zu den „Gattungsfragen“, die bislang von den Gewerkschaften immer abgestritten worden ist. Aber es sei falsch, die Gattungsfrage von der Klassenfrage zu trennen: „Wenn Umweltpolitik mehr sein soll als die nachträgliche Reparatur eingetretener Schäden, dann führt kein Weg an einer Umgestaltung unseres Produktions- und Wirtschaftssystems vorbei.“ Die entscheidende Frage sei, „ob es gelingt, soziale Bündnisse herzustellen“.

Das hat man so bisher noch nicht gehört aus der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Blessing, der durchaus als Stimme seines Herrn verstanden werden kann, stellt fest, die frühere „Hegemonie der Arbeiterbewegung“ innerhalb des progressiven Teils der Gesellschaft sei abgelöst worden durch eine Pluralität unterschiedlicher Gruppen, „wobei die Gewerkschaften noch eine zentrale, aber eben keine dominierende Rolle mehr spielen“. Wenn die Gewerkschaften, wie Blessing meint, „zur Durchsetzung ihrer eigenen Politik ein Interesse an einer handlungsfähigen, fortschrittlichen Gesellschaftsformation haben“, werden sie in Zukunft ihre Umgangsformen im Verhältnis zu den neuen sozialen Bewegungen erheblich umstellen müssen: vom noch herrschenden „demokratischen Zentralismus“ zur lebendigen, für alle Mitglieder und Außenstehenden offenen „Diskursorganisation“, wie der Göttinger Sozialwissenschaftler Horst Kern auf einer der den Zukunftskongreß vorbereitenden Konferenzen formulierte.

Blessing zitiert diese Aufforderung Kerns zustimmend. Wie aber diese Perestroika bei der IGMetall praktisch umgesetzt werden kann, läßt er offen. „Wenn die SPD ein Tanker ist, dann ist die IGMetall ein Supertanker“, so beschreibt ein führender IGM-Funktionär der taz gegenüber die Sisyphusarbeit, den 2,6-Millionen-Koloß in Richtung Modernität umzusteuern. Was den gewerkschaftlichen Vordenkern in der Frankfurter IGM-Zentrale inzwischen leicht von der Zunge geht, hat sich vielen Funktionären an der Basis noch nicht einmal als Problem offenbart. Entscheidend wird der organisierte Diskussionsprozeß innerhalb der Organisation nach dem „Zukunftskongreß“ Ende Oktober sein. Grundlage dieses Diskussionsprozesses soll ein „gewerkschaftlicher Orientierungsrahmen“ sein, in dem unmittelbar nach dem Kongreß die wichtigsten Anregungen aufbereitet werden sollen. Dabei soll nach Steinkühlers Worten eines allerdings nicht in Frage gestellt werden: Die IGMetall will auch in Zukunft nicht Sozialpartner werden. „Wir sind und bleiben Kampforganisation.“

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