: Living Doll: Körper und Konfektion in den 50er Jahren
■ Rück-Sichten, Traum in Gold und Braun, heute, ARD, 20.15 Uhr
Angst und Seidenstrümpfe
Noch ehe die Party, wahlweise auch Hausball, angefangen hat, macht mich die Freundin auf die Laufmasche aufmerksam, die schon über die Wade läuft, heimtückisch und ganz leise. Bei sonstiger Ruhigstellung kann man sich darauf trainieren, eine Masche auf der Haut beim Laufen zu spüren. Ob es nützt, hängt aber davon ab, ob man die Masche noch ein Stück oberhalb des Rocksaums erwischt, wo man sie schnell mit Spucke und dann mit Nagellack (u.U.Hilfe! die weibliche Blutsgemeinschaft tritt in Aktion) festhält. Gerettet ist man natürlich auch, wenn man Ersatzstrümpfe dabei hat. Mit einer Laufmasche, ich kann sonst aussehen, wie ich will, habe ich mich in eine Schlampe verwandelt. So schnell geht das, immer nach dem Vorbild einer anderen Verwandlung, die einerseits natürlich, andererseits aber ein Verlust von etwas sein soll, von dessen Wert man weder hier noch da eine Vorstellung hat. Natürlich, Laufmaschen passieren dauernd, aber dauernd hat man auch Angst, daß sie passieren könnten, in den Pausen, wo sie nicht passieren.
Es gibt auch noch schiefe Nähte. Die sind zwar nicht so ruinös, geben einen bloß der Lächerlichkeit preis, aber deshalb müssen sie natürlich nicht weniger überwacht werden. Entweder mit der Bitte (nur an weibliche Wesen oder Familienangehörige): „Kannst Du mal nach meinen Nähten sehn?“, oder dem Blick mit verdrehtem Hals nach hinten unten, der nicht sehr zuverlässig ist, wegen der Perspektivverzerrung. Wie sah ich hinten aus? Vielleicht hat meine Identitätsschwäche damit zu tun, daß ich das nie zuverlässig wußte. Ein Angsttraum, den Nachthemd- und Nacktheitsträumen völlig analog: Erst beim Nachhausekommen sehe ich, daß sich die Nähte meiner Seidenstrümpfe so verdreht haben, daß sie fast neben den Knien wieder hervorkommen.
Sehr gepflegt
Das Attribut für die gelungene weibliche Inszenierung lautete: gepflegt. Es gab bildhübsche Mädchen, hübsche Frauen, aber von eleganten und schönen habe ich nie reden hören. Die Parole der ästhetischen Restauration lautete: Keine Extreme! Auch höchste Kunst muß natürlich wirken. Mich macht das Wort „gepflegt“ heute noch wütend; denn in ihm steckt der Hauptwiderspruch von pausenloser Aktivität und passivem Schein, der ausgehalten werden mußte. Bin ich gepflegt, und wenn ja, von wem, oder habe ich mich gepflegt, was ist dann das Ergebnis, eine Tautologie, das Gepflegtsein? Bin ich ein Garten, das Auto? Selbst Kinder werden nicht gepflegt, es sei denn, sie sind krank...
Das Verdikt „unweiblich“ traf Ehrgeiz, Intelligenz, lange Hosen und kurze Haare... Die ersten beiden natürlich nicht, wenn sie sich auf die Pflegearbeit bezogen. Diese enthält einen weiteren Widerspruch neben dem oben genannten Hauptwiderspruch. Man muß sie auf sich nehmen, sie aber verbergen - daher ihr kriminell-obszöner Charakter. Der Damensalon, in dem der Frisör an meinem wichtigsten Körperteil herumfummelte, Friseusen gab es nicht so viele wie heute, war von den männlichen Kunden im öffentlichen Teil des Geschäfts nicht einsehbar. In den ganz feinen Salons gab es - zur Schonung nicht bloß des weiblichen Schamgefühls im allgemeinen, sondern auch des persönlichen im besonderen - sogar Einzelkabinen. Als ich zum ersten Mal gynäkologisch untersucht wurde, habe ich mich kaum mehr geniert als bei der ersten Dauerwelle.
Lastex
Mit Lastex, einem sehr festen und fast rauhen, dehnbarem Gewebe aus Kunstfaser setzte die Amerikanisierung des weiblichen Körpers ein, die bis in die siebziger Jahre hinein Mode war. Aber was heißt schon Mode! Der Gemeingebrauch des Wortes wird dem Ineinanderklicken von weiblichen Wünschen, männlichen Ängsten und kapitalistischer Expansion nicht entfernt gerecht.
Die Keilhose aus Lastex verwandelte mein Untergestell in eine geometrische Figur, ein auf der Spitze stehendes gleichschenkliges Dreieck, daß noch einmal von zwei unverwüstlichen Bügelfalten (maschinengepreßt) markant unterteilt wurde. Ich sah schnittig aus, überhaupt nicht matschig, nicht weich, nicht wellig, unangreifbar, selbst eine Waffe. Die harte Schönheit, die dem Körper, zumal dem weiblichen jenseits der Kinderjahre, fehlt, kann durch Konfektion ersetzt werden.
Beim Badeanzug, meiner war rot und hatte das bekannte Schößchen, das den Ansatz der Oberschenkel wegschneiden oder wegdrücken sollte - aber wohin, ich war innen ja nicht hohl
-war der Effekt nicht so eindeutig. Busen, Bauch und Po waren zwar erschütterungsfrei gefestigt, aber oben und unten war ich deshalb um so hilfloser nackt.
Der Kult, der in den fünfziger Jahren mit der Figur getrieben wurde, ist mit dem Schlankheitskult der Gegenwart nicht zu verwechseln. Natürlich sollte man schön dünn sein, auch damals, dabei andererseits über einen gewissen Formenreichtum verfügen, ein Widerspruch, den manche durch Einlagerung von Schaumstoffpolstern (Schalen oder Halbschalen von „Correcta“) zu schlichten versuchten.
Ich wußte die Maße von einem Dutzend bekannter Schauspielerinnen, von oben nach unten Brust, Taille, Hüften; denn sie wurden unentwegt veröffentllicht, auch von seriösen Damen. Man wußte den Namen der amtierenden Miss Germany, vielleicht sogar den der Miss Opal, dem Mädchen mit den schönsten Beinen...
auszugsweise von Katharina Rutschky in „Literatur und Erfahrung“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen