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Indianeraufstand in Kanada

Kanadischer Indianerstamm blockiert Ölförderung auf traditionellem Eingeborenenland und ruft unabhängige Nation aus / Eindringen der Ölindustrie hat wirtschaftliche Grundlagen des Jägervolkes zerstört / Andere Indianerorganisationen haben ebenfalls Aktionen angekündigt  ■  Aus Little Buffalo F. Kressing

Der Indianderstamm der Lubicon Cree wehrt sich gegen den Ausverkauf seines Landes an die Ölindustrie, gegen Regierungsbevormundung und die Zerstörung seiner traditionellen Lebensweise: Seit vergangenem Samstag hat die kleine Indianernation in Kanada im Norden Albertas ein Gebiet von 10.000 km2 besetzt und sich zur souveränen Nation erklärt. Die Lubicon Cree errichteten an vier Zufahrtsstraßen Straßensperren und fordern von Ölgesellschaften und Trophäenjägern Gebühren für den Zugang zu ihrem Land. Bislang haben mehr als 70 Ölgesellschaften im Land der Lubicon Cree Öl gefördert. Ein eilends einberufener Häuptlingsrat mit Vertretern der „Indian Association of Alberta“ und der „Assembly of First Nations“ kündigte ähnliche Aktionen in ganz Kanada an und sprach den Lubicon Cree seine Unterstützung aus.

Bis vor zehn Jahren haben die Lubicon Cree als wirtschaftlich selbständige Eingeborenengemeinschaft von Pelztierfang und der Jagd gelebt. Doch durch das Eindringen der Ölgesellschaften wurde die traditionelle Lebensweise der 477 Angehörige zählenden Gruppe weitgehend zerstört. Während die Ölindustrie auf dem traditionellen Land der Indianer Erdöl und Erdgas im Wert von bis zu 1,5 Millionen Dollar täglich förderte, wurde aus dem ehemals autonom lebenden Jägervolk ein Stamm von Sozialhilfeempfängern. Denn seit den massiven Aktivitäten der Ölgesellschaften ist fast der gesamte Wildbestand verschwunden und damit die wirtschaftliche Grundlage der Indianer zerstört. Alkoholismus und Zerrüttung des sozialen Lebens sind die Folgen.

Bei den Landrechtsverhandlungen 1899 waren die Lubicon Cree aufgrund ihres abgelegenen Siedlungsgebietes vergessen worden. Ein 1939 versprochenes Reservat wurde nie registriert.

Seit damals kämpfen die Indianer gegen die Ressourcenausbeutung und fordern ein Reservat von 274 km2 sowie Mitspracherecht bei der Wirtschaftsentwicklung auf den umliegenden 10.000 km2, die jetzt besetzt gehalten werden. Doch weder die kanadische Bundesregierung, der die Oberaufsicht über alle Eingeborenen-Angelegenheiten obliegt, noch die Provinzregierung von Alberta gingen jemals ernsthaft auf diese Forderungen ein. Vor Gerichten wurden eine Klage der Lubicon, ihr Land sei „von Bohrtürmen besiedelt“ und sie könnten deshalb ihre Lebensweise nicht mehr ausüben, abgewiesen.

Die Forderungen des Stammes werden seit Jahren von internationalen Organisationen unterstützt. Schon 1983 hatte der Weltkirchenrat der damaligen Regierung Trudeau vorgeworfen, im Fall de Lubicon Cree kulturellen Völkermord zuzulassen. Während der Olympischen Winterspiele in Calgary machten die Ureinwohner mit einem Boykottaufruf, der landesweit von indianischen Dachorganisationen unterstützt wurde, auf ihre Lage aufmerksam. Doch trotz weltweiten Medienechos ging der Ausverkauf des Lubicon-Landes weiter: Der Indianerminister Bill McKnight - gleichzeitig Ressortchef für die Wirtschaftsentwicklung des kanadischen Nordens - unterzeichnete noch im Frühling dieses Jahres einen Vertrag über eine Subvention in Höhe von 10 Millionen Dollar für den kanadischen Papierkonzern Daishowa, der auf dem Land der Lubicon Cree riesige Gebiete abholzen wird.

Albertas Premierminister Don Getty schlug vor einigen Monaten die Einrichtung eines Schiedsgerichts vor, dessen Mitglieder gleichermaßen von den Lubicon Cree wie von der Bundesregierung zu bestimmen seien. Doch die beiden Parteien konnten sich nicht auf die Besetzung dieses Tribunals einigen. Eine Runde direkter Verhandlungen zwischen Don Getty und Lubicon-Häuptling Bernard Ominayak scheiterte am vergangenen Freitag: Die Provinzregierung von Alberta war noch immer nicht bereit, auf die Landforderung der Indianer einzugehen. Vor allem aber sprechen beide Regierungsebenen den Lubicon Cree das Recht ab, über die Mitgliedschaft in ihrer Gruppe selbst zu bestimmen: Die Eingeborenenbevölkerung Kanadas wird nach willkürlichen Kriterien in sogenannte Status-Indianer, Nicht-Status -Indianer, Metis und Inuit (Eskimos) eingeteilt, von denen nur die ersteren zur Zuteilung von Land berechtigt sind und Unterstützungsleistungen der Bundesregierung in Anspruch nehmen können. Nur 200 Angehörige der Lubicon Cree werden von der Bundesregierung als Status-Indianer anerkannt.

Die Tatsache, daß die Lubicon Cree sich zur souveränen Nation in ihrem traditionellen Territorium erkärt haben, ist für die Lage der Ureinwohner in ganz Kanada von immenser Bedeutung. Denn es geht um so grundlegende Fragen wie das Landrecht in Gebieten, die von ihren Bewohnern niemals offiziell abgetreten wurden; um die Verankerung von Ureinwohner-Rechten in der kanadischen Verfassung und um die Etablierung einer dritten, von den Eingeborenen getragenen Regierungsebene neben den Provinzregierungen und der Bundesregierung in Ottawa. Blockaden wie im Lubicon-Gebiet wurden in den vergangenen Monaten von indianischen Gruppen quer durch Kanada errichtet. Alle Aktionen wandten sich entweder gegen Regierungsbevormundung oder unkontrollierte Ressourcenausbeutung auf indianischem Land. Der Fall der Lubicon Cree entwickelte sich zum Testfall für die Regierungspolitik gegenüber den Ureinwohnern des Landes.

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