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Marcel (8) ist der neue Herrgott

Seelöwen und Fohlen ohne Klasse bei Uerdingen - Mönchengladbach 0:0  ■  Aus'm Zoo Bernd Müllender

In diesen Tagen zittert die Weltöffentlichkeit sehr bewegt um das Schicksal der drei eingeschlossenen arktischen Packeiswale. Vergessen wird dabei der Alltag anderer bedrohter Tierarten, etwa jener im Krefelder Zoo. Zehn Jahre ist es her, da schenkte der FC Bayer Uerdingen dem Zoo den Seelöwenbullen „Paule“, einer quasi aus den eigenen Reihen, genannt nach dem Libero und einfachen Nationalspieler Paul Hahn.

Die Gabe dient der Nachbarschaftspflege, grenzt doch das Grotenburgstadion direkt an die Tierwohnungen. Der Bundesligalärm vergrätzt da Spieltag für Spieltag die Kreaturen, so den vom Bau her siedlungsflüchti gen brasilianischen Mähnenwolf (vgl. taz vom 4.2.85) oder das sehr geräuschempfindliche Weißschwanzstachelschwein und auch das stehts schläfrige Zweifingerfaultier, das gleich hinter einem der Tore hängt und wohnt. „Paule“ aber, das patschige Robbentier, läßt sich vom Krach weniger schrecken und plantscht und prustet weiterhin bester Dinge.

Seelöwen, so lernen wir von einem Schild am Beckenrand, sind in ihrer „Fortbewegung an Land stark eingeschränkt“, da bieten sie kaum mehr als ein „madenartiges Kriechen“, wiewohl die Dressur ihrem „hohen Bewegungsbedürfnis“ sehr entgegen kommt. Genauso spielten „Paules“ Kollegen gegen die anderen Ligatiere, die Fohlen aus Gladbach. Sie wollten, die Seelöwenbullen von Bayer, aber sie konnten nicht. Durchaus bewegungsbedürftig zwar, aber es gab viel Kampf, viel Hektik, Spielfluß Null und ganz wenige Torchancen. Und wenn, dann hatte sie immer Stefan Kuntz, doch der bullige Ex -Polizist hatte mal wieder Ladehemmung bei seinen Schußversuchen.

Die Borussen ließen den Ball laufen, den Seelöwen blieb da nur die „spannerartige Bewegung“. Doch Torchancen zu sehen gab es auch bei ihnen wenig. Wenn Hochstädter und das starke, wasserstoffblonde Fohlen Effenberg mal abzogen, füllte Uerdingens Schlußmann mit dem höchst sinnfälligen Namen Kubik alle Lücken.

Auch Uwe Rahn soll mitgespielt haben, doch der Ex-Fußballer des Jahres und Ex-Torschützenkönig ist mit 26, so scheint es, schon ein alter Gaul: Langsam und lahm trabte er zweikampfscheu ohne jede Torgefährlichkeit im Mittelfeld herum, mit nichts als kurzem Sicherheitsspiel.

Ein anderer großen Namens spielte erst gar nicht mit. Uerdingens Matthias Herrgott, auf dieser Welt meist Herget genannt, der Mann mit den himmlischen Außenristflanken und dem ebenso leichtfüßigen wie -sinnigen Spiel, bis vor kurzem noch des Kaisers Libero, war Auswechselspieler.

Trainer Schafstall wollte, so kanzelte er seinen Star ab, „mal wieder mehr Stabilität und Sicherheit“, und die sollte weder Herget noch sein Nationalnachfolger Fach, sondern der 36jährige Vertragsamateur Friedhelm Funkel als Libero herstellen (was er auch glänzend tat). Bezeichnend für Hergets Niedergang war zudem, daß in der Stadionzeitung beim Auflisten der Namen des Uerdinger Kaders der seine schlicht vergessen worden war.

In der Halbzeitpause lümmelte sich Herrgott beleidigt auf der Bank herum und ließ sein sauertöpfisches Gesicht von zahllosen Fotografen für die Ewigkeit festhalten. Die anderen Bayerreservisten wärmten sich derweil auf dem Rasen und integrierten statt seiner Herrgöttlichkeit den achtjährigen Knirps Marcel, F-Jugendlicher Stürmer eines Vorortclubs, in ihr Spiel. Der fand das natürlich mit leuchtenden Augen „ganz toll“, der neue Herrgott von Krefeld zu sein, wenn auch nur für einige Minuten. Der wahre Herrgott durfte schließlich doch noch mittun, eine halbe Halbzeit lang, allerdings vollbrachte er keine großen Wunder.

Viel gefährlicher und geradezu atemberaubend war es da kurz vor Spielbeginn im Zoo bei der wirklich arg wunderbaren Elefantendressur zugegangen, die der prominente Krefelder Dompteur Wolfgang Nehring dort zelebriert. Als Höhepunkt der Show steckt er seinen Kopf in des Dickhäuters Riesenmaul und läßt sich von ihm herumtragen. „Totale Ruhe“ hatte er sich auserbeten, sonst könne das Tier sehr nervös werden.

Da erschallte nebenan die Fantrompete von einem der 23.000 Krachmacher, ganz so wie ein Elefantenruf - zum Glück aber passierte nichts. Doch alle wußten, daß das akustische Spannungsfeld Fußball-Zoo auch umgekehrt Gefahren birgt. Mehr als die Dressur der Bayer-Profis für Gegnertore jedenfalls. Eine laut Seelöwentext „Attraktion für die Besucher“ war es wahrlich nicht, das Dritte 0:0 der Krefelder Fußballöwen im fünften Heimspiel.

UERDINGEN: Kubik - F.Funkel- Kleppinger, Klinger - Fach, Mathy, Steffen (68.Herget), W.Funkel, Witeczek (46.Kirchhoff), Stickroth, Kuntz

GLADBACH: Kamps - Herlovsen - Winkhold, Drehsen, Straka Effenberg, Hochstätter, Rahn, Bruns (67.Thiele), Neun Criens

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