: Kohl in Moskau Schadenfreude in Italien
Italiens Medien berichten mit Häme über Kohls Besuch ■ Aus Rom Werner Raith
So viel und so breiten Titel-Raum hat Bundesdeutschlands Kanzler Helmut Kohl noch nie in Italiens Medien erhalten in den meisten Fällen sogar Aufmacher. Bereitwillig nennen Zeitungen und Fernsehstationen, das Radio und selbst Wochenmagazine die „mächtige Delegation aus 50 Großindustriellen und sage und schreibe sechs Ministern“, und gerne schreiben sie auch über „das Gastgeschenk der Deutschen von vollen drei Milliarden Dollar“.
Was ist in Italiens Schreiberlinge gefahren, daß sie dem Norden gar so viel Aufmerksamkeit widmen? 'La Repubblica‘ hat's unübertrefflich in ihren Titel hineingedrückt: „Ora tocca a Kohl“ - Jetzt ist Kohl dran. „Jetzt“, das ist das Schlüsselwort, denn vor einer Woche, ja, da waren die Italiener schon da, und darauf sind sie mächtig stolz.
Und wie sie da waren: mit noch mehr Ministern und noch mehr Geschäftsleuten - und vor allem mit ganz und gar leeren Händen, doch zurück kamen sie mit vollen, übervollen Rucksäcken. Fiat-Agnelli brachte die frohe Kunde eines Riesenautowerks mit, das seinen „Panda“ unter dem Namen „Ente“ zu Hunderttausenden herstellen wird; Raul Gardini, weltweit zweitgrößter Agrarherrscher, hat ein Kultivierungsprojekt im hinteren Rußland unter Dach und Fach gebracht - „größer als das deutsche Bundesland Hessen“.
Dennoch, irgendwie unruhig sind sie schon, die Italiener, und so schadet es wohl nichts, wenn die Medien den Russen immer wieder mal ins Gedächtnis rufen, mit welchen Zeitgenossen sie es da zu tun haben - bis zu einem Drittel füllen die Zeitungen ihre Artikel mit der Aufzählung von Störfällen zwischen der BRD und der UdSSR, allen voran natürlich „jener Jahrhundertausrutscher“ ('La Stampa‘), bei dem Kohl Gorbatschows Perestroika mit Goebbels Propaganda im Dritten Reich verglichen hat. Weshalb, einhellige Pressemeinung, die Russen den drei deutschen Milliarden auch nicht allzuviel Dankbarkeit entgegenbringen sollten - sie sind lediglich Wiedergutmachung für erlittene rhetorische Unbill. Und deshalb hat Italiens Delegation vorige Woche den Russen nichts, aber auch gar nichts mitgebracht - es wäre schlichtweg ein Affront gewesen, denn Italien hat ja keinen Kohl.
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