: Goldjeton
■ Hasselmann und der Hannoveraner Filz
Die Demokratie lebt nicht trotz, sondern von Skandalen. Der Skandal ist die einzige Inszenierung öffentlicher Moral, durch die vor allem die Spitze der politischen Bandenkriminalität getroffen werden kann, die gewöhnlich bei der justiziellen Abwicklung geschont wird. Das bedingt aber auch die Schwäche in der Prozeßführung eines politischen Skandals: stürzt die Spitze, kann sehr oft der Mittelbau überleben.
Hasselmann ist mitsamt der Regierung Albrecht nun in das Stadium eingetreten, wo das öffentliche Auszählen beginnt. Zwischen dem Innenminister und dem Rücktritt liegt nur noch eine „Erinnerungslücke“ über einen Spielbankscheck über 40.000 Mark. Die SPD hat endlich mit dem Antrag zur Auflösung des Parlaments den ersten Schritt zu Neuwahlen unternommen. Sie tat es, weil sie gar nicht anders konnte. Aber sie hätte es längst schon tun müssen. Muß erst ein Minister bei der Lüge ertappt werden, muß ihm erst der Goldjeton nachgewiesen werden, den ihm ein Wirtschaftskrimineller unter die Weste schiebt, bevor die Opposition die Frage der „Glaubwürdigkeit“ des demokratischen Gemeinwesens entdeckt? Was ist das für eine Opposition, die laut wird, wenn die Regierungsverantwortlichen nur noch hastig aushandeln, wer wen wie schnell fallen läßt?
Im Roulett der niedersächsischen Skandale ist ein Fauna zutage getreten, eine Mischung von Law-and-order und Unterwelt, von Spenden, Bestechungen, von Polizei außerhalb der Legalität, von Kriminellen innerhalb der Legalität, die längst schon andere Konsequenzen als nur neue Vorladungen vor den Untersuchungsausschuß verlangt. Will man vergleichende „Gate“-Studien betreiben, dann läßt das „Leine –Gate“ Barschel als stümperhaften Einzeltäter verblassen. Jetzt ist zu befürchten, das nur die Verantwortlichen fallen und der tragende Filz überlebt. Schließlich hatte er und hat noch ziemlich viele rote Einfärbungen.
Klaus Hartung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen