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Wie plündere ich eine Zeitung aus?

Mit kriminellen Methoden schafften die Top-Manager der Mainzer Verlagsanstalt Millionen auf ihre Seite, sorgten für die Einstellung des traditionsreichen 'Darmstädter Tagblatts‘ und für die Verödung der hessischen Presselandschaft / Jetzt stehen die trickreichen „Unternehmer“ vor Gericht  ■  Von Sabine Giehle

Am 20. März 1986 wechselte die traditionsreiche hessische Lokalzeitung 'Darmstädter Tagblatt‘ den Besitzer. Die Konkurrenz vom 'Darmstädter Echo‘ ließ es sich zehn Millionen Mark kosten, den langjährigen Konkurrenten unter seine Fittiche zu bekommen und sogleich einzustellen.

Die Gewerkschaftszeitung der IG Druck und Papier wertete damals diesen Verkauf als vorläufigen Höhepunkt einer Konzentrationswelle. Das ist zwar richtig, aber nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich nämlich handelt es sich um eine handfeste Kriminalgeschichte, die nun von der 3. Großen Strafkammer des Wiesbadener Landgerichts aufgeklärt werden soll. Das kann freilich noch dauern, denn am Mittwoch wurde der Prozeß wegen eines Gutachterstreits erst einmal unterbrochen. Angeklagt wegen Untreue und Betrugs sind die ehemaligen Geschäftsführer der Mainzer Verlagsanstalt (MVA), der das 'Tagblatt‘ einst gehörte, Eckhard Kentsch und Gerhard Schmidt sowie der frühere Vorstands-Assistent Dr. Clemens Knoll.

Das 'Tagblatt‘, das als einziges MVA-Blatt gegen eine örtliche Konkurrentin zu bestehen hatte, war seit Anfang der achtziger Jahre in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Nach Aussagen des Ex-Managers Schmidt wollten die Verantwortlichen der MVA das Sorgenkind bereits 1984 abstoßen oder zumindest eine Absprache der ländlichen Einzugsbereiche mit dem 'Darmstädter Echo‘ vornehmen. Ein Gutachter habe allerdings festgestellt, daß dieses Vorhaben am Kartellrecht scheitern müßte. Statt dessen wurde im Juni 1984 eine Auffanggesellschaft für das 'Tagblatt‘ gegründet, an der die MVA nur noch zu 40 Prozent der Anteile beteiligt war. Die übrigen 60 Prozent übernahm der damalige Assistent der MVA-Geschäftsführung, Clemens Knoll. Die MVA wollte den Verlustbringer aus dem Unternehmen ausgegliedert haben, „koste es, was es wolle“, wie es Schmidt formulierte. Es sollte fast zwölf Millionen Mark kosten. So verpflichtete sich nämlich die MVA als Sanierungsbeitrag die Verluste der neuen Gesellschaft der ersten drei Jahre bis in Höhe von insgesamt fünf Millionen Mark zu übernehmen. Zusätzlich gewährte sie ein zinsloses Darlehen von drei Millionen Mark. Für das erste Geschäftsjahr des frischgebackenen Unternehmers Knoll übernahm sie sogar unentgeltlich die Verwaltungsleistungen. Das geschah nicht aus reiner Freundlichkeit, sondern weil die MVA kalkulierte, auf diesem Weg bis zu 25 Millionen Mark einzusparen, die bei einer Betriebsschließung an Sozialplan- und Stillegungskosten anfielen.

Was der MVA-Beirat nicht wußte: ihre Top-Manager Schmidt und Kentsch steckten mit Knoll unter einer Decke. Knoll hielt nach einem Geständnis von Schmidt verdeckte Beteiligungen für die beiden Geschäftsführer. Für Schmidt trat dessen Sohn, für Kentsch dessen Freundin in den Privatvertrag mit Knoll ein. Wie clever das Trio bei ihrem Plan vorgingen, das Unternehmen auszuplündern, beweist nach Ansicht des Gerichts ein Detail: Die geheimen Treuhandsverträge wurden bereits einen Monat vor dem Datum abgeschlossen, an dem der MVA-Beirat als aufsichtsführendes Gremium überhaupt die Gründung einer Auffangsgesellschaft erörtert und beschloß.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätten die Angeklagten in der Folgezeit dem Unternehmen über vier Millionen Mark durch teilweise überhöhte Rechnungen entnommen. Damit, so die Anklage, sei der wirtschaftliche Zustand der Zeitung künstlich schlecht gehalten worden. Ziel: der vollständige Rückzug der MVA aus dem scheinbaren Verlustbringer 'Tagblatt‘. Untreue und Betrug wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten auch beim Verkauf des 'Tagblattes‘ vor. Sie sollen den MVA-Beirat über den Stand der Verkaufsverhandlungen mit dem 'Darmstädter Echo‘ getäuscht haben. Einen Tag, nachdem der Schwager von Knoll im Auftrag der Angeklagten die restlichen MVA-Anteile an der Auffanggesellschaft zum symbolischen Preis von einer Mark erwarb, wurde das 'Tagblatt‘ für zehn Millionen an das 'Darmstädter Echo‘ verkauft. „Wir wußten damals ja nicht, daß es der Schwager von Knoll war, der die Anteile übernahm. Der Beirat hatte die damaligen Geschäftsführer beauftragt, einen Käufer für das Tagblatt zu finden. Wir waren froh, es los zu werden“, ist die Erklärung, die der Assistent der Geschäftsführung, Senn, nun für das Verhalten der MVA abgibt.

Zur Verödung der hessischen Presselandschaft führten weitere Coups des trickreichen Trios. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft verursachten die der MVA einen Schaden von 10 Millionen Mark beim Verkauf der 'Hochheimer und Hofheimer Zeitung‘, der 'Ingelheimer Rundschau‘, der Druckerei „Norddruck“ in Darmstadt sowie der Anzeigenblättchen im Raum Wiesbaden.

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