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Zum Jubiläum Razzien und Verhaftungen

■ Die CSSR feiert 70jährige Staatsgründung / Offizielles Festprogramm mit höchster Alarmstufe / Oppositionelle Demonstration gewaltsam aufgelöst / Demonstranten niedergeknüppelt / Über 100 Festnahmen, darunter Mitglieder der Charta 77 und der Friedensbewegung

Berlin (ap/dpa/taz) - Die Feierlichkeiten zum siebzigsten Jahrestag der Staatsgründung der CSSR wurden von einer Verhaftungswelle und harten Maßnahmen gegen Oppositionelle begleitet. Mit Gewalt haben die tschechoslowakischen Sicherheitsbehörden am Freitag nachmittag eine verbotene Kundgebung von rund 5.000 Menschen in der Umgebung des Prager Wenzelsplatzes aufgelöst. Augenzeugen berichteten, daß die Polizei mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vorgegangen sei. Die Polizei wurde von der Menschenmenge mit „Gestapo„-Rufen empfangen. „Freiheit“ und „Lang lebe die Freiheit“ riefen die Demonstranten.

Das offizielle Festprogramm hatte bereits am Donnerstag begonnen. Während sich am Morgen Vertreter des Parlaments und der KP am Grabe des tschechoslowakischen Staatsgründers Tomas Masaryk zur Kranzniederlegung einfanden, galt in der Prager Innenstadt höchste Alarmstufe. Ein gigantisches Polizeiaufgebot riegelte die Zugänge zum Wenzelsplatz ab, in den Nebenstraßen fuhren Wasserwerfer auf, tausende Polizisten kontrollierten die Passanten. Zuvor waren Wohnungen durchsucht und, nach Angaben von 'ap‘, mindestens 122 Menschen in der gesamten CSSR festgenommen worden, darunter Mitglieder der Friedensbewegung und prominente Unterzeichner der Charta 77. Sowohl der Dramatiker Vaclav Havel als auch die katholischen Aktivisten Vaclav Benda und Petr Uhl mußten die Feiertage in der Zelle verbringen, verlautete aus Prag. 'ap‘ berichtete weiter, die Festnahmen seien in brutaler Weise vorgenommen worden, in der Regel seien zehn Polizisten über jeden Betroffenen „regelrecht hergefallen“.

Unterdessen gedachte am Nachmittag Staatspräsident Gustav Husak auf der Prager Burg des tschechoslowakischen Staatsgründers Tomas Masaryk (185O-1937). Die erste Republik (1918-1938) gilt noch heute vielen als „bürgerlich“. In der kommunistischen Nachkriegs-Tschechoslowakei war Masaryk zeitweise als „Feind der Sowjetunion“ und „Stalin-Gegner“ attackiert worden. Staatspräsident Husak übrigens war der Kranzniederlegung ferngeblieben. Auf der Prager Burg mahnte er, sich nicht auf den Westen zu verlassen, „sondern an die Sowjetunion anzulehnen“. Ausdrücklich gedachte er des Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR, „der einen Sieg der Rechtskräfte vereitelt und den Sozialismus gerettet habe“.

Das Jubiläum der Staatsgründung wird in der CSSR zum ersten Mal seit 40 Jahren mit offiziellen Massenkundgebungen begangen. Neu ist auch, daß der 28.Oktober zum Feiertag erklärt wurde. Doch was auf den ersten Blick wie eine „Versöhnung“ mit der „bürgerlichen“ beziehungsweise anti -stalinistischen Vergangenheit erscheinen mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als der Versuch, nationalistische Töne anzuschlagen. Dem entspricht das gleichzeitige verschärfte Vorgehen gegen Oppositionelle. Auch eine noch Donnerstag abend erlassene begrenzte Amnestie scheint nicht die politischen Häftlinge in der CSSR zu betreffen. Aus Prager Justizkreisen verlautete, lediglich einige politische „Erststraftäter“ könnten davon profitieren.

Martina Kirfel

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