50km/h plus Berlinzulage

■ Längst nicht jeder läßt sich bei Tempokontrollen belehren / Meistens wohlfeile Ausreden der Raser / Polizei zweifelt den Nutzen auffälliger „Mausefallen“ an

Gestern vormittag, Grazer Damm in Schöneberg, Nähe Auguste -Viktoria-Krankenhaus. Wieder einmal winkt ein Weißgekleideter nach dem Handzeichen seines Kollegen mit dem Funkgrät einen Wagen aus dem zügig dahin fließenden Strom der Fahrzeuge per Stoppkelle. Der Fahrer eines Ford-Granada muß 20 Mark Verwarnungsgeld löhnen. Ein ziviles Radarauto hatte ihn in 300 Meter Entfernung mit einer Geschwindigkeit von exakt 62km/h geblitzt.

Doch dabei bleibt es diesmal nicht. Er wird zu einem sogenannten „aufklärenden Gespräch“ in einen Polizeibus gebeten. Dort erläutert man ihn anhand eines Merkzettels, den mitunter für Fußgänger verhängnisvollen Zusammenhang zwischen überhöhter Geschwindgkeit und verlängerten Reaktions- und Bremswegen. Mehr als 36 Meter hätte er günstigstenfalls bis zum Stillstand gebraucht, wenn ihm beispielsweise plötzlich ein Kind vor den Kühler gerannt wäre, erfährt der 40jährige Monteur Heinz Speck. Möglicherweise viel zu viel, zumal die Fahrbahn des Grazer Damms jetzt vom Nieselregen naß in den Scheinwerferlampen blinkt und herbstgelbe Blätter den Asphalt bedecken.

Seit letzten Montag weist die Berliner Polizei in dieser belehrenden Form an insgesamt 30, über die ganze Stadt verteilten, Kontrollpunkten, vor allem in der Umgebung von Krankenhäusern, Seniorentagesstätten und Schulen, auf die Gefahren der Raserei hin. Seit Beginn der noch bis zum übernächsten Freitag laufenden Sonderaktion handelten sich in der vergangenen Woche bereits 864 von rund 11.000 kontrollierten Fahrzeuglenkern Anzeigen wegen erheblicher Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit ein. Der schnellste fuhr in der Aroser Allee stolze 98 Sachen und muß wahrscheinlich seine Pappe abgeben.

Dennoch lagen die gemessenen Durchschnittsgeschwindigkeiten nur 10 Prozent über der Toleranzgrenze von 57km/h, während die Polizei schon seit Jahren von einem - unveränderten Anteil der „ahndungsrelevanten“ Raser von 15 bis 16 Prozent ausgeht. Der Grund: Die „Mausefallen“ sind durch die vielen eingesetzten Polizeiwagen und herumwieselnden Beamten viel zu auffällig.

Wie hier scheint die gutgemeinte Belehrung ohnehin wenig zu fruchten. „Ich habe mich doch nur dem Verkehrsfluß angepaßt“, räsoniert etwa der um einen grünen Schein erleichterte Monteur, als er wieder hinter das Steuer seines Ford klettert. „Mein Gott, man fährt hier halt so schnell“, schimpft auch die Fahrerin einer betagten Ente, eine 36jährige Erzieherin. Mit 50km/h zu fahren sei besonder bei so ausgebauten Straßen „schon ein bißchen langweilig“. Die Erzieherin: „Es macht einfach Spaß, schneller zu fahren.“

Thomas Knauf