: Propagandanebel um Polens runden Tisch
Mit der Idee vom „runden Tisch“ schien sich endlich eine Aussöhnung anzubahnen, doch heute sind die Hoffnungen auf ein Abkommen zwischen Regierung und Opposition wieder gesunken / Wer hatte die Idee, und wer boykottiert die Verhandlungen? ■ Von Klaus Bachmann
Es war eine seltsame Fahrt. Die Vertreter der noch Tage zuvor bestreikten Betriebe fuhren in einem Autobus des Innenministeriums durch Warschau. An jeder Straßenkreuzung machten ihnen uniformierte Polizisten den Weg frei. Den Arbeitern, die Tage zuvor noch verdreckt, müde und ausgehungert in den Baracken ihrer Betriebe gelegen hatten, war das Ganze unheimlich. „Ich wär lieber zu Fuß gegangen“, gestand ein Arbeiter hinterher. Die Fahrt endete in einer Regierungsvilla vor Warschau. Innenminister General Kiszczak begrüßte die Arbeiter mit einer ausgewählten Speisekarte und einer Tischrede: Er schlug die Themen vor, die er am „runden Tisch“ behandelt wissen wollte, und er schlug vor, wer sie behandeln solle und vor allem - wer nicht. „Extremisten plus diejenigen, die im Sold fremder Mächte stehen“ - der General war schon seit jeher empfänglich für Verschwörungstheorien „und die, die vollendete Tatsachen schaffen“, müßten bei den kommenden Verhandlungen leider draußen bleiben. Das war der entscheidende Satz, mit dessen Hilfe die innerparteiliche Opposition gegen den „runden Tisch“ seit Wochen Sturm läuft. Schon lange widmet die Parteizeitung 'Trybuna Ludu‘ allen Köpfen der Opposition von Bratkowski über Michnik, Czapulowicz und Onyszkiewicz bis Michnik und Moczulski gehässige Kurzporträts, in denen die Opfer dann abwechselnd als Trottel, Spione, Abenteurer oder Opportunisten durch den Kakao gezogen werden. Anders als die Parteiwochenzeitung 'Polityka‘ oder selbst das Organ der Warschauer PVAP, 'Zycie Warszawy‘, in denen auch Leute von der anderen Seite der Barrikade zu Wort kommen, der kirchliche Vermittler, Prof. Andrzej Stelmachowski etwa oder gar Solidarnosc-Berater Tadeusz Mazowiecki. Was wohl am besten den inneren Zustand der Partei verdeutlicht. Was bei dem Aufwand an Propaganda, den die Regierung um den „runden Tisch“ treibt, gelegentlich in Vergessenheit gerät: Der runde Tisch ist weder eine Erfindung von der Regierung, noch eine Idee von Solidarnosc.
Eine Idee entsteht
Der „runde Tisch“ wurde zum ersten Mal aufs Tapet gebracht von Prof.Stelmachowski, dem kirchlichen Vermittler zwischen Regierung und Gewerkschaft und das zu einer Zeit, als er diese Funktion noch gar nicht offiziell erfüllte. „Es begann damit“, erzählte er anschließend, „daß wir uns im Klub der Katholischen Intelligenz (KIK) in Warschau trafen, um den Streikenden zu helfen.“ Es war in der zweiten Augustwoche, als die Streikwelle in Polen langsam ihrem Höhepunkt zustrebte. In Schlesien stand ein halbes Dutzend Bergwerke und Hütten, in Szczecin wurde gestreikt, ebenso in Stalowa Wola. „Aus der Warschauer Perspektive war das Schlimmste, daß die Behörden mit den Streikenden nicht reden wollten. Und damals entstand der Gedanke.“ Jozef Czyrek, ZK-Sekretär, Politbüromitglied und einer der wenigen hohen Funktionäre, mit denen man selbst nach Ansicht mancher Oppositineller zumindest reden kann, war im Vorjahr einige Male beim Warschauer KIK zu Gast gewesen, und so hatte Stelmachowski seine Dienstnummer. So kam der erste Kontakt zustande. „Ich sagte“, erklärte Stelmachowski später, „General Jaruzelski habe auf dem siebten Plenum von einem 'runden Tisch‘ gesprochen und fragte Czyrek, ob es jetzt nicht höchste Zeit sei, an ihm Platz zu nehmen.
Jaruzelski einverstanden
Ich versuchte ihn zu überzeugen, daß wir etwas Spektakuläres brauchen. Sonst verlöre die Gesellschaft das Vertrauen, und die Situation würde sich noch weiter zuspitzen. So eine spektakuläre Geste wäre zum Beispiel ein Gespräch mit Walesa, das wäre das Signal, daß wirklich ein Dialog beginnt. Czyrek hörte zu, sagte, das sei interessant und fragte nach Details. Er wand sich allerdings bei dem Gedanken, die Frage der Zulassung von Solidarnosc dermaßen öffentlich anzugehen.“ Am 21.August meldete sich Czyrek wieder: Jaruzelski sei mit einem Gespräch mit Walesa einverstanden, solange nur nicht in der Leninwerft gestreikt werde. Verhandlungen mit einem streikenden Walesa waren wohl für die Regierung unannehmbar - zu eindeutig wäre die Ähnlichkeit mit den Vereinbarungen von Danzig 1980 gewesen.
Doch der Streik auf der Werft ist nicht mehr aufzuhalten. Zwar weiß Walesa von Stelmachowski, daß es ein Verhandlungsangebot gibt, doch die Stimmung in der Werft ist auf dem Siedepunkt. Walesa schiebt die Entscheidung ab: In der Brigittenkirche erklärt er der versammelten Belegschaft, er habe Anzeichen dafür erhalten, daß die Regierung verhandeln wolle. Wenn die Regierung dies in den Nachrichten um 19 Uhr 30 bestätige, werde er den für den nächsten Tag angekündigten Streik aussetzen. Doch das Fernsehen weiß nichts davon, welche Rolle ihm Walesa da plötzlich zugeschrieben hat, und so vergehen die Nachrichten ohne das erhoffte Signal. Am nächsten Tag streikt die Leninwerft. Czyrek ruft Stelmachowski an: „Angesichts dieser Lage ist unsere Abmachung gegenstandslos.“
Walesa unter Druck
Schon Tage später laufen erneut Signale bei den kirchlichen Vermittlern ein, die auf Verhandlungsbereitschaft deuten. Czyrek gibt zu verstehen, wenn der Streik in Danzig aufhöre, könne verhandelt werden: „Woanders können sie streiken, nur nicht auf der Werft.“ Am 25.August fährt Stelmachowski nach Danzig und überredet Walesa, auf das Angebot einzugehen. Walesa fährt mit ihm nach Warschau, um sich mit ZK-Sekretär Ciosek und General Kiszczak zu treffen. Was dann folgt, beschrieb eine große polnische Untergrundzeitung anschließend so: „Der Streik in den Danziger Werften wurde an seinem Kulminationspunkt von Walesa unterbrochen. Die Entscheidung dazu, gefaßt nach dem Treffen mit Ciosek und Kiszczak, rief unter den Werftarbeitern einen Entrüstungssturm hervor, nicht so sehr wegen ihres Inhalts, sondern wegen der Art und Weise, wie die Belegschaften davon erfuhren - über westliche Rundfunksender. Walesa setzte nämlich nicht nur die Konsultationen mit den Arbeitern und Beratern nach dem Treffen mit Kiszczak aus, sondern raffte sich nicht einmal dazu auf, die bis in die Nacht wartenden Arbeiter in ein paar Sätzen über die neue Lage zu informieren. Bis heute liegt das, was er mit Kiszczak besprach, im Nebel.“
Von Anfang an betrachteten die Arbeiter, die Walesa überredete, den Streik abzubrechen, diese Entscheidung äußerst skeptisch. Dennoch waren sie bereit, am „runden Tisch“ Platz zu nehmen. Doch der runde Stuhl hatte von vorneherein einige schwerwiegende Geburtsfehler, die nun ans Tageslicht kommen: Zum einen, daß er die tatsächlichen Kräfteverhältnisse nicht wiederspiegelt. Von Anfang an war klar, daß alle Abmachungen des runden Tisches von „oben“ würden bestätigt werden müssen. Und das war kein gutes Vorzeichen. ZK-Sekretär Ciosek drückte das auf einem Vorbereitungstreffen so aus: Die Parteibasis sei stark beunruhigt durch die Aussicht, Solidarnosc würde wieder zugelassen werden. Die Vertreter der Opposition würden mit einer Vollmacht Platz nehmen, das war klar. Aber welche Vollmachten hatten Kiszczak und Ciosek? Kiszczak soll auf dem Vorbereitungstreffen geäußert haben (so berichtete Wladyslaw Frasyniuk anschließend), er habe nichts einzuwenden, gegen eine Zulassung der Gewerkschaft, aber: „Mir sind die Hände gebunden.“
Regierungswechsel
Ein Treppenwitz, daß diejenigen, die ihm die Hände binden, sich nun auch noch auf seine eigenen Worte berufen, auf die Gummiformel der „Verfassungsfeinde“, die nicht am runden Tisch Platz nehmen dürfen. Diesen neuen Kurs bringen viele in Polen mit Rakowskis Regierungsantritt in Verbindung. Regierungswechsel, Angebote an Oppositionelle, in die Regierung einzutreten, Zulassung neuer Klubs, all das seien Ersatzhandlungen, mit denen Rakowski hoffe, um die Wiedergutmachung von Solidarnosc herumzukommen. Klar ist, daß Rakowski auch innerparteilich nicht unumstritten ist. Wladyslaw Baka, der Mann, der die Wirtschaftsreform sozusagen personifiziert, ist in das neue Kabinett nicht eingetreten. Und auf der anderen Seite ist es General Jaruzelski, der 1981 das Kriegsrecht verhängt hat, um sieben Jahre später die verhaßte Gewerkschaft wieder zulassen zu müssen. Noch einer der viel gesuchten Unterschiede zwischen damals und heute: 1981 gab es einen ständigen und starken Druck von unten auf die Partei, mit Solidarnosc ins Reine zu kommen. Heute gibt es einen starken Druck von oben - in die umgekehrte Richtung.
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