: Bremen 1995 pleite?
■ 100 Seiten Sparvorschläge: Senat berät Finanzkrise in Klausursitzung / 1996: 4000 Stellen weniger / Aber: Innensenator will 70 neue Polizeibeamte pro Jahr
Im Bremer Senat kursiert ein neuer Witz: „In Bremen muß man als Senator nur eine Geiselaffäre oder einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß am Hacken haben, und schon - kriegt man alle Forderungen durch.“
Anlaß für den neuen Galgenhumor im Rathaus liefert z.B. Innensenator Bernd Meyer. In Meyers Handgepäck für eine zweitägige Klausurtagung, zu der sich der Senat seit Sonntag abend nach Cuxhaven zurückgezogen hat, befindet sich ein Wunschzettel für zusätzliche Stellen bei Schutz- und Bereitschaftspolizei und eine Aufstellung über notwendige Sach-Investitionen. Konsequenz des Senators aus der Geiselaffäre: Die Polizei braucht jährlich mindestens 70 neue Beamte. Außerdem will Meyer rund 6,4 zusätzliche Millionen Mark für neue Funkgeräte, Telekopierer und Fernschreiber ausgeben.
Meyers Forderungskatalog paßt zum Thema der Senatsklausur wie die Faust aufs Auge. Eigentlich wollten die Senatoren weniger übers Geldausgeben reden als über Sparmöglichkeiten. In einer 100-Seiten-Vorlage hat die Senatskanzlei eine ziemlich düstere Prognose für Bremens Zukunft ausgemalt. Ergebnis: Aus eigener Kraft wird Bremen aus der Finanzkrise nicht mehr herauskommen. Spätestens 1995 geht fast gar nichts mehr. Die Neuverschuldung wird 1,4 Milliarden betragen. Die Investitionen schrumpfen auf rund 600 Millionen (Investitionsquote: 9,9 %), während 1,2 Milliarden allein für Zinsen aufgebracht werden müssen (Zinslastquote: 18,4 %). Mögliche zusätzliche Einnahmen (1989 ca. 215 Mio, z.B. durch Strukturhilfefonds und Länderfinanzausgleich) werden durch Steuerreform und Sozialhilfekosten aufgefressen.
Daran ändert sich auch nichts, wenn der Senat - wie im Klausurpapier vorgeschlagen - an seiner „restriktiven Stellenpolitik“ festhält. Über 4.000 Stellen sollen durch „natürliche Fluktuation“ bis 1996 im öffentlichen Dienst abgebaut werden. Gleichzeitig mahnt die Senatskanzlei die Ressorts an, endlich die allein für 1988 beschlossenen Stellenkürzungen vorzunehmen. Von 539 geforderten Stellen -Einsparungen sind erst 244 erbracht worden. Allein Bildungssenator Franke steht mit 98 Stellen im Soll. Lapidar heißt es unter „Beschlußvorschlag“: „Der Sensat bittet die betroffenen Ressorts, die zur vollen Erfüllung der Einsparungsvorgaben 1988 nötigen Stellensperrungen umgehend der Senatskommission für das Personalwesen aufzugeben.“
Trotzdem will der Senat künftig - so empfiehlt es die Vorlage - den generellen Einstellungsstopp aufheben. Allerdings nicht, um hemmungslos neue Stellen zu schaffen, sondern um das bislang umständliche Verfahren für die Einrichtung sogenannter „Einstellungskorridore“ abzukürzen. Während bislang jede unabweisbar notwendige Neueinstellung einen Senatsbeschluß erforderlich machte, sollen die Ressorts künftig in eigener Verantwortung Stellen schaffen dürfen - solange sie um mindestens 2 Prozent unter ihrem „Stellensollbestand“ liegen. Konsequenz: Wer kräftig spart oder viele Mitarbeiter in Pension schickt, darf auch ohne förmlichen Senatsbeschluß die eine oder andere Stelle neuschaffen.
Gar nicht zu denken ist dagegen an die Einrichtung von 1.100 Stellen, die allein aufgrund der tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeitverkürzung geschaffen werden müßten. Für kritische
Nachfragen aus Gewerk schaftskreisen schlägt das Senatspapier folgende Argumentationshilfe vor: „Es ist darauf hinzuweisen, daß der Senat in einigen Berufsgruppen Stellenwiederbesetzungen beschlossen hat.“ Als Beispiel werden die Feuerwehr (16 Stellen), der Ju
stizvollzgsdienst (42) oder die Bibliothek (11) genannt. Für Meyer geht die Vorlage noch von 20 neuen Stellen bei der Polizei pro Jahr aus. Ob Meyer sich mit seiner Forderung nach der dreieinhalbfachen Zahl durchgesetzt hat, wird der Senat erst am Mittwoch verraten.
K.S.
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