„Für Westgeld wird jede Schweinerei gemacht“

■ Kritische Informationsveranstaltung in Zossen zu Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche / Rund 300 Umweltschützer und Anwohnerkamen, Polizei riegelte Zufahrtswege ab / Verantwortliche blieben fern / Informationen meist nur vom Hörensagen / West-Berliner Senat wird Arroganz vorgeworfen

„Warum verbrennen die ihren Giftmüll hier in der DDR, warum machen die West-Berliner das nicht bei sich selbst? Warum werden wir nicht richtig informiert? Wie gefährlich ist die neue Sondermüllverbrennungsanlage für uns...?“ Viele Fragen, wenige Antworten, denn die, die Auskunft hätten geben können, waren nicht gekommen. Statt dessen hatte die Polizei die Zufahrtswege zur Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche weiträumig abgesperrt. Autos wurden gestoppt, die Fahrer bis zu einer Stunde zur Personalienüberprüfung festgehalten. Im Zossener Gemeindesaal, rund sechs Kilometer von Schöneiche entfernt, drängten sich derweil rund 300 Umweltschützer und Anwohner der umliegenden Dörfer. Die Zossener Kirchengemeinde hatte am Sonntag nachmittag zu einer Informationsveranstaltung über die gerade in Probebetrieb gegangene Sondermüllverbrennungsanlage in ihrer Nachbarschaft geladen. So viel Resonanz hatte niemand erwartet. Nur die Verantwortlichen der Behörden und der Betreibergesellschaft INTRAC waren, trotz Einladung, ferngeblieben. Deshalb prasselten die unzähligen Fragen der Anwohner auf den Ost-Berliner Umweltschützer Matthias Voigt vom grünen Netzwerk Arche nieder, der sein mühsam zusammengetragenes Wissen in einem kurzen Vortrag wiedergegeben hatte. In offiziellen DDR-Publikationen oder Zeitungen wurde bis heute so gut wie nichts über die Sondermüllverbrennungsanlage berichtet.

Es war mucksmäuschenstill an den langen Holztischen, als Voigt die Gefährlichkeit von Dioxinen und anderen hochgiftigen Stoffen erklärte, die bei der Verbrennung von Sondermüll an die Umgebung abgegeben werden. „Unsere Gegend ist ohnehin schon schwer belastet“, fügte ein Pfarrer hinzu. Seit zehn Jahren wird bei Schöneiche eine Mülldeponie betrieben, neben zwei Kanälen gelegen und ohne Basisabdichtung.

Ein Jugendlicher meldet sich zu Wort und beginnt mit einem Satz, der typisch ist für diesen Nachmittag: „Ich habe von einem Bekannten gehört, daß...“ Einer springt auf und protestiert, will endlich handfeste Informationen haben, statt Gerüchte aus zweiter Hand. „Das ist ja die Problematik in diesem Land“, beruhigt ein kirchlicher Mitarbeiter, „daß man eben nur vom Hörensagen weiß.“

Das Informationsbedürfnis ist groß. Viele haben erst im Januar im Westfernsehen erfahren, was in ihrer Nachbarschaft gebaut wird. Nach dem Fernsehbeitrag, der damals im ARD -Magazin Kontraste ausgestrahlt wurde, gab es dann plötzlich offizielle Informationsveranstaltungen, zu denen der Rat des Kreises die Anwohner einlud. Doch was die Schöneicher dort zu hören bekamen, hat die wenigsten beruhigt: „Die haben gesagt, daß das die modernste Anlage nach Japan ist“, berichtet ein alter Schöneicher und lacht, wie alle im Saal. „Die haben Leute geschickt, die selbst nicht richtig informiert waren und uns immer wieder die gleichen Daten vorgelesen haben.“

Nein, daß die Giftmüllanlage ungefährlich ist, glaubt hier keiner. Angst, Beunruhigung, aber auch Ärger über das schmutzige Geschäft mit dem Westen ist zu spüren. Einer hat einen Freund, der in dem neuen Werk arbeitet: „Der hat mir gesagt, das größte Problem ist das Gift, das übrig bleibt. Das wird in Säcke abgepackt, und die wissen auch noch nicht, wohin damit.“ Und daß die Anlage gar nicht so viel Westdevisen einbringt, weil „wir doch die Arbeitskräfte, den Betieb und die Verbringung der Weststoffe zahlen müsse“, das hat ihm sein Freund auch erzählt. Westdevisen ist ein Reizwort. „Mir ist klar“, wirft ein Jugendlicher ein, „daß in diesem Land vor keiner Schweinerei halt gemacht wird, solange es um Westgeld geht.“

Ein kirchlicher Mitarbeiter faßt die Forderungen zusammen, die im Laufe des Nachmittags laut geworden sind: „Die vollständige Information der Bevölkerung, der Einsatz unabhängiger Sachverständiger zur regelmäßigen Überprüfung der Anlage und eine sofortige Sanierung und Abdichtung der Deponie Schöneiche.“ Wo er denn diese unabhängigen Sachverständigen auftreiben will, fragt ein Jugendlicher dazwischen: „Die gibt es doch bei uns gar nicht. Wenn die Daten veröffentlichen, die nicht im Einklang mit den offiziellen Daten stehen, begehen die doch Selbstmord.“ Die zum großen Teil aus Ost-Berlin angereisten Umweltschützer geben sich alle Mühe, gegen die Resignation anzukämpfen, die in vielen der Statements zum Ausdruck kommt. „Wir müssen unser tägliches Leben so gestalten, daß kein Giftmüll abfällt“, fordert eine Mtarbeiterin von Arche, die „schon seit Jarhen keinen Abfalleimer mehr braucht“. Sie bekommt tosenden Beifall, doch gegen die 15.000 Tonnen Westmüll, die in Schöneiche jährlich verbrannt werden sollen, ist das kein Rezept. „Eingaben schreiben und immer wieder das Gespräch, die Diskussion mit den Verantwortlichen führen“, schlägt ein Umweltschützer vor.

Sauer sind die Ökologen aus Ost-Berlin über das „arrogante Verhalten“ des West-Berliner Senats. Das 5. Berliner Ökologie-Seminar hatte dem Senat bereits im Oktober einen langen Brief geschickt und gegen das Abschieben des westlichen Giftmülls in die DDR protestiert. Während Hessens Umweltminister Weimar sofort reagierte, als ihn ein ähnlicher Appell erreichte, stellte sich der Senat bislang taub. „Wir sind enttäuscht über die Arroganz, die der Senat an den Tag legt“, erklärte ein Vertrer von Arche. „Wir werden doch noch einiges unternehmen müssen, um den Senat an seine Verantwortung zu erinnern.“

Susanne Schloth