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Kein Gedenken für die „Terroristen“

Zum siebzigsten Jahrestag der bayerischen Räterepublik mag sich das offizielle München nicht an die damaligen Vorgänge erinnern, noch gibt es Spuren im Stadtbild Mythen, Schweigen und Verfälschungen haben ihre Wirkung getan / Beim Streit um ein Eisner-Denkmal beherrscht Antisemitismus und Unwissen die Diskussion  ■  Von Henriette Wägerle

Das Grab ist gepflegt. Über dem Erdhügel wächst dichter Efeu, mittendrin flackert eine Totenkerze. Eine Ranke klettert am grob gehauenen, verwitterten Grabstein hoch, erreicht aber noch lange nicht die schmucklos eingesetzte Inschrift: Kurt Eisner, Gustav Landauer. Nichts weiter.

Den schmalen Weg zum Grab im hinteren Teil des alten jüdischen Friedhofs hat mir die Gärtnerin gezeigt: „Warum sollte mehr als die Namen auf dem Grabstein stehen? Wer das Grab sucht, weiß auch, wer die Toten sind.“ Kommen viele? Der jüdische Friedhof in München ist keine Sehenswürdigkeit, ist kaum bei der Münchner Bevölkerung bekannt. Noch unbekannter sind Eisner und die Geschichte, für die er steht. München hat es vergessen.

Beim Stadtbummel erleben die BesucherInnen München als Residenz-, Kunst- und Geschäftsstadt. Paläste, Denkmäler, Brunnen, Straßen und Plätze erinnern eifrig an die Monarchie: Maximilianeum, Reiterdenkmal Ludwig I, Wittelsbacher Brunnen, Leopoldstraße, Prinzregentenstraße; die Geburtsstunde des Freistaats, der Republik Bayern, verschweigt die Landeshauptstadt verschämt. Die Suche nach Spuren der Revolution verläuft mühsam.

Startpunkt Theresienwiese: Seit 1810 strömen alljährlich Millionen von Menschen aufs Oktoberfest zum weltweit „schönsten Bierrausch“. Kaum einer weiß, daß hier der Sturz der Monarchie eingeleitet wurde. Am 7.November1918 versammelte sich jede/r zehnte EinwohnerIn auf der Wiese, um für „Frieden und Freiheit“ zu demonstrieren. Die SPD wollte einen Aufstand verhindern; in einem Brief berichtet die Aktivistin Hilde: „Auer sprach und ich kochte vor Wut. Was habe ich mir die Kehle weggeschrieen mit Lügner, Verräter, Schuft... Eine Gewerkschaftsdemonstration wälzte sich anschließend pomadig durch die Straßen, nichts von revolutionärem Aufstand.“

Doch nicht alle folgten Auer. Die Radikaleren marschierten mit dem USDP-Führer Kurt Eisner an der Spitze zu den großen Infanteriekasernen am Marsplatz und gewannen die Soldaten. Heute stehen auf dem Gelände die Finanzämter der Landeshauptstadt.

Bierdunst hängt wiederum in der letzten Station dieses Revolutionstages: im Mathäser-Bräu. Soldaten und ArbeiterInnen haben sich verbündet, die Residenz ist besetzt, der König auf der Flucht: Die Revolution hat gesiegt. In der Mathäser-Bierhalle wird der Arbeiter- und Soldatenrat gewählt. Anschließend marschieren alle zum nahen Landtagsgebäude in der Prannerstraße: Kurt Eisner ruft den „Freistaat Bayern“ aus.

70 Jahre Freistaat Bayern. Darauf müßten die traditionsbewußten Repräsentanten des Freistaats eigentlich stolz sein. Und richtig: interessiertes Aufhorchen beim „Freistaat„; das Wort ist beliebt, ungefährlich, doch bei „Rätedemokratie“ weichen sie zurück. Kaum einer kennt die Geschichte, doch eine Revolution darf das Bild vom Freistaat nicht beschmutzen. Im Landtag verweist der Sprecher auf das 40jährige Bestehen der bayerischen Verfassung, man könne ja nicht an jeden Gedenktag erinnern und außerdem sei das Sache der Regierung und nicht des Parlaments. Desinteresse auch in den Fraktionen. Nur die SPD feiert „70 Jahre Frauenwahlrecht“, das ihr damaliger Führer Auer als „verfrüht“ verhindern wollte.

Telefongespräch mit der bayerischen Staatskanzlei, dem Sitz des Ministerpräsidenten. „Um was geht's denn da? Wann war das? Wer?“ Pressesprecher Dr. Remmele hat keine Ahnung von der Geschichte der Ministerpräsidenten, versichert aber, daß keine Gedenkstunde geplant ist. „Wir feiern gerade, dieses und nächstes Jahr, 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland und hatten den Staatsakt am Chiemsee. 70 Jahre ist ja kein rundes Datum“, vielleicht 75, aber das weiß er natürlich jetzt noch nicht.

Irgendwo in der Stadt müßte doch eine kleine Erinnerung an die turbulenten Monate der Räterepublik zu finden sein, die damals schließlich die Unterstützung der Münchner hatte, und die Anfang Mai nur durch Terror gegen die Zivilbevölkerung von Noskes Truppen blutig niedergeschlagen werden konnte. Bis Juni 1919 haben die Truppen fast tausend Menschen umgebracht: Zivilisten, Frauen, russische Kriegsgefangene, aber vor allem Arbeiter, engagierte Künstler und Intellektuelle, kurz: das ganze linke, fortschrittliche Potential der Stadt. Der Weg zur „Hauptstadt der Bewegung“ war gesäubert. Spurenlos.

Im damaligen Landtagsgebäude in der Prannerstraße 10, mitten in der Altstadt, residieren heute die Tela -Versicherung und das Siemens-Museum. Computer, Satellitenmodelle, Nachrichtensysteme: Ein High-Tech-Konzern zeigt sein Leistungsspektrum, wo 1918/19 die Arbeiter- und Soldatenräte Demokratie probten, ohne daß es einen Hinweis darauf gäbe.

Nur hundert Meter davon entfernt erschoß Graf Arco-Valley am 21.Februar 1919 Kurt Eisner. Eisner war auf dem Weg zum Landtag gewesen, die Rücktrittsrede in der Tasche, da die USDP bei den Wahlen am 12.Januar eine Niederlage erlitten hatte. Empört über den hinterhältigen Mord begleiteten 100.000 BürgerInnen den Sarg zum Ostfriedhof. Begraben wurde hier auch der im Mai 1919 in Stadelheim von den Weißen Truppen erschlagene Gustav Landauer, Sozialphilosoph, Anarchist und Mitglied der Räteregierung. Als die Nationalsozialisten 1933 beide Gräber und ein Denkmal zerstörten, brachte man die Überreste zum jüdischen Friedhof im Münchner Norden. Damit verschwand das einzige Mahnmal.

Sympathie zur Rätedemokratie ist bei der heutigen Bevölkerung kaum mehr zu spüren. Mythen, Schweigen und Verfälschungen haben ihre Wirkung getan. „Roter Terror“ und „jüdische Kommunisten“, das sind die Stichworte, die den Leuten zur Räterepublik einfallen. 1976 weigerten sich die Hausbesitzer des Montgelas-Palais - dem Amtssitz Eisners, vor dem er erschossen wurde - strikt dagegen, eine Gedenktafel für den „Terroristen“ an ihrer Hauswand anbringen zu lassen. Versteckt zwischen Straßenbahngleis und Rasen, unbemerkt von den Passanten, liegt die Tafel deshalb am Promenadenplatz.

Vor drei Jahren beschloß der Stadtrat mit den Stimmen der SPD und Grünen ein Denkmal. Streit um Finanzierung und Standort verhinderte bislang die Umsetzung. Geeinigt hat man sich nun darauf, auf dem Gehweg eine Bronzeplatte einzulassen, auf der die Körperlinie des getöteten Eisner eingraviert ist.

Seither kochen die Gemüter konservativer Münchner, bar jeder Kenntnis über die Friedfertigkeit der Revolution, die bis zum Massaker durch Noske-Truppen und Freicorps keinen einzigen Toten forderte. Ein „Augenzeuge“ schreibt dennoch in einem Leserbrief: „Es konnte von freien Wahlen keine Rede sein, wo Tag und Nacht seine (Eisners, d.Red.) bewaffneten Anhänger plünderten, raubten und mordeten und sich das Bürgertum als Freiwild fühlen mußte. Schließlich war Kurt Eisner aus Berlin zu uns gekommen, seine Vorfahren hießen Kosmanowski und waren in Galizien ansassig.“ Ein anderer empörter Leserbriefschreiber behauptet: „Vom November 1918 bis Sommer 1919 versuchte eine linke Minderheit, Kommunisten mit ihren Arbeiter- und Soldatenräten, mit Gewalt die Macht im Land zu erringen und die demokratisch gewählte Regierung auszuschalten.“ Unwissend, daß eine Demokratie gar nicht ausgeschaltet werden konnte, da zuvor die Monarchie herrschte!

Spannend dürften die Auseinandersetzungen werden, wenn das Denkmal verwirklicht ist. „Münchner Zamperl werden schon drauf scheißen“, prophezeit ein Kollege. Doch das kann dauern: Das Kunstwerk muß noch einige Ausschüsse - vor allem den Finanzausschuß - passieren. Im Revolutionsjahr wird es keinesfalls fertig.

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