„Der Spaß am Konsum darf nicht verlorengehen“

Öko-Wissenschaftler streiten in Berlin über die Voraussetzungen eines umweltgerechten Konsums / Die Parole „Jeder fange bei sich selber an“ bleibt bei der Mehrheit ohne Resonanz / Institutionelle Lösungen stehen individuellen Lösungen gegenüber  ■  Aus Berlin Gerd Rosenkranz

Wer unter den Rahmenbedingungen einer autofixierten Gesellschaft „mit gutem Beispiel vorangeht“ und auf andere, umweltverträglichere Verkehrsmittel umsteigt, vergrößert ungewollt die Entfaltungsmöglichkeiten derjenigen, die auf den eigenen fahrbaren Untersatz nicht verzichten wollen. Und wer im dichten Nebel auf der Autobahn sein Tempo drosselt, während nachfolgende Brummis ungerührt auf die Tube drücken, bereitet sich und anderen eine fast sichere Katastrophe.

Mit derlei Erkenntnissen meldet sich nicht etwa ein unverbesserlicher Geschwindigkeitsfetischist zu Wort, dem am Steuer seines Porsche Spitzfindigkeiten zur Rechtfertigung der Ignoranten-Formel „Freie Fahrt für freie Bürger“ eingefallen sind. Es war vielmehr der Soziologe Helmut Wiesenthal, ehemals Mitglied im Bundesvorstand der Grünen, der am vergangenen Wochenende ein kleines, aber feines Publikum beim Kongreß zum Thema Ökologischer Konsum in Berlin mit Beispielen gutgemeinter, aber möglicherweise kontraproduktiver Einzelaktionen gegen den Umweltkiller Nr.1 konfrontierte. Zu der Veranstaltung hatte das aus dem grün -alternativen Spektrum hervorgegangene Institut für ökologische Wirtschaftsforschung geladen.

Der ökologische Problemdruck, darüber gab es unter den gut 20 Referenten und Referentinnen der Berliner Tagung keine Debatte, ist im vergangenen Jahrzehnt enorm gestiegen. Die Umweltschäden sind - siehe das Siechtum der Wälder und der Nordsee oder die allmähliche Zerstörung der Atmosphäre kaum mehr reparabel. Um Umweltschäden künftig schon an der Quelle zu begegnen, muß sich nicht zuletzt die Güterproduktion an ökologischen Kriterien orientieren und eben auch der Konsum. Aber wie?

„Es komme darauf an, die Leute aus ihrer traditionell passiven Rolle als Konsumenten herauszuholen“, meinte etwa die Soziologin Irene Schöne, „ökologischer Konsum kann nur ausgeübt werden, wenn er vorher eingeübt wird.“ Allgemeine Skepsis herrschte gegenüber Vorschlägen, die Umwelt, etwa im Bereich des Wohnens, durch die Einführung von Gemeinschaftseinrichtungen zu entlasten. Nicht vorstellbar, so ein Diskutant aus dem Publikum, daß „Frau Müller und Herr Meier ihre Wäsche in dieselbe Trommel“ füllen. Jeglicher Versuch der Kollektivierung mache Ansätzen ökologischen Konsums ebenso sicher den Garaus wie der erhobene Zeigefinger der Pädagogen, schimpfte denn auch Jo Müller, ehemals MdB der Grünen, heute im Aufsichtsrat der Ökobank. Konsum als „ein entscheidendes Refugium des Individuums“ könne nur ökologisch motiviert werden, wenn dadurch der individuelle Lebensstandard erhöht oder wenigstens bewahrt werde. Ähnlich wie Müller argumentierte Gerhard Scherhorn, Professor an der Uni Hohenheim. Das unverbindliche individuelle Umweltbewußtsein schlage sich stets erst dann in entsprechendem Handeln nieder, wenn die damit verbundenen „Gewohnheitsänderungen subjektiv Gewinn bringen“. Kurz: Der Spaß am Konsumieren und am Konsumierten darf nicht verlorengehen.

Doch bei der Frage, wie dieser Anspruch in die Tat umzusetzen sei, machte sich allgemeine Ratlosigkeit breit. Dem Berliner Soziologen Ingo Braun etwa fiel - nach einem erhellenden kulturhistorischen Rundgang um das Alltagsgut Waschmaschine - zur Eindämmung der ökologischen Folgekosten lediglich eine weitere Drehung an der Technologieschraube ein: Da die Parole „Weniger Waschen!“ kulturrevolutionäre Züge trage, bleibe als realistische Lösung und Endpunkt der Entwicklung nur die „Waschmaschine als chemische Kleinfabrik“ in jedem Haushalt.

Helmut Wiesenthal blieb das Verdienst, die ziemlich festgefahrene Diskussion wenigstens an einem Punkt ein Stück vorangebracht zu haben. Er versuchte sich an einer Erklärung für die ansonsten nur allseits beklagte Beobachtung, daß das enorm gestiegene Umweltbewußtsein partout nicht in entsprechende Verhaltensänderungen der Konsumenten umschlagen will. Das Dilemma, mit dem sich das ökologisch sensibilisierte Individuum konfrontiert sieht, beschreibt Wiesenthal so: Der individuelle Verzicht - etwa beim Auto erscheint nutzlos, solange nicht genügend andere mitmachen. Sobald jedoch viele kooperationswillig scheinen, wird der eigene kleine Beitrag als entbehrlich eingestuft. Ergebnis: „Da alle potentiell Beteiligten in rationalen Überlegungen zu dem Schluß gelangen, ihr Beitrag sei entweder vergeblich oder überflüssig, ist das Ergebnis rationale Passivität.“ Auf diese Weise bleibe „ökologischer Konsum ein Allgemeininteresse ohne Mobilisierungskraft“, eine Situation, die auch der unbestrittene Wertewandel nicht entscheidend ändern könne.

Die Parole „Ein jeder fange bei sich selber an“ bekommt erst im Zusammenwirken mit „passenden“ institutionellen Rahmenbedingungen einen Sinn, lautet Wiesenthals These. Dazu forderte er die bestehenden Umweltverbände auf, zur Bündelung der sehr unterschiedlichen Konsumenteninteressen einen gemeinsamen Dachverband zu gründen. Daneben gehe es darum, bewußt und offensiv „heterogene Koalitionen“ zustande zu bringen und für die unterschiedlichsten Konsumenteninteressen ein Forum zu schaffen, auf dem sich etwa „Öko-Unternehmer und fundamentalistische Aufklärer“ treffen können.

Wiesenthals Thesen riefen vor allem den Industrialismuskritiker Otto Ullrich auf den Plan. Soziologen, meinte Ullrich neigten dazu, „argumentativ plausibel“, aber unter Umständen dennoch „völlig falsch und blind für die Realität“ die Möglichkeiten sozialer Bewegungen zu unterschätzen. Im Falle des Autos müßten vorweggenommenes Pionierverhalten einzelner und institutionelle Änderungen ineinandergreifen. Mit seiner Einschätzung, das Auto sei neben den Atomkraftwerken „ein vorrangiger Kandidat für einen Ausstieg“, blieb Ullrich allerdings ziemlich allein. Man müsse an die Privilegien dieser „Intimkapsel mit Fluchtpotential“ heran, meinte Ullrich. Ein Benzinpreis von fünf Mark pro Liter werde den gewünschten Umsteigeeffekt auf den öffentlichen Personennahverkehr schon nach sich ziehen.

Hucky Heck, alternativer Ortsamtsleiter in Bremen, reicht das nicht. Autofahrer sind in seinen Augen Süchtige, die nur durch Entzug von ihrer Droge abzubringen sind. In den Städten bedeutet das: Verkehrsberuhigung bis zum Stillstand: „Das Verelendungsprinzip des Autofahrers ausbauen, wo immer es geht.“