: „Fatale Fehleinschätzung“
■ Herbert Brückner begründet seinen Rücktritt mit schweren Vorwürfen gegen Klaus Wedemeier
Genossinnen und Genossen!
Hiermit trete ich von der Funktion des Vorsitzenden der Landesorganisation Bremen der SPD und allen damit übernommenen Aufgaben zurück. Ich möchte diesen Schritt begründen:
1. Die von Klaus Wedemeier übereilt und ohne jede Vorberatung während einer Haushaltsklausursitzung erarbeitete Senatsumbildung soll als „Befreiungsschlag“ verstanden werden und die SPD wieder in die „Offensive“ bringen. Ich halte dieses für eine faltale politische und taktische Fehleinschätzung mit langfristig schwerwiegenden negativen Folgen für die Zukunft der Bremer SPD. Mit einer Vermehrung und Verschiebung von Senatsposten erreicht man wohl eine kurzfristige öffentliche Aufmerksamkeit, aber keine neue Offensive für die Partei. Selbst wenn ein Rücktritt des Parteivorsitzenden dazukommt (um „Pakete zu schnüren“), wird der gewünschte Erfolg nicht eintreten, weil eine inhaltliche Neubesinnung nicht erfolgt. Notwendig wäre eine gründliche Analyse der Grundfragen und Probleme der Parteisituation.
Dazu gehören neben den Schwächen des Senats:
-Die unbeantworteten Fragen zur Umsetzung der politischen Zielsetzungen des Bremen-Plans.
-Die bedrückende alltägliche Erfahrung von Ortsvereinen, Beiräten sowie Genossinnen und Genossen in Gewerkschaften und Organisationen, die aufgrund aktueller Politikerentscheidungen in die Opposition zum Senat gedrängt werden.
-Die fehlende Akzeptanz eines in der Demokratie naturgegebenen Spannungsverhältnisses zwischen Partei und Senat.
-Die immer größer werdende Kluft zwischen den hauptberuflichen Politikmachern und den politischen Amateuren der Basis (Informations- und Entscheidungsabhängigkeit von „denen da oben“).
-Die öffentliche Wirkung der Arbeit der Untersuchungsausschüsse des Parlaments.
Wenn dies und einige andere Grundfragen nicht aufgearbeitet werden, sondern versucht wird, Probleme durch Postenverschiebungen zu kompensieren, wird es weder zu einem „Befreiungsschlag“ noch zu einer „Offensive“ kommen, sondern zu weiterer Resignation in der Partei beitragen.
Die vorgenannten Kritikpunkte machen es mir unmöglich, den eingeschlagenen Weg zur angeblichen „Schadensbegrenzung“ mitzugehen. Da sowohl der Präsident des Senats als auch andere wesentliche Entscheidungsträger in der Partei, der Fraktion und der gesamte Senat den eingeschlagenen Kurs für richtig halten, ziehe ich aus dieser Meinungsverschiedenheit auch deshalb die Konsequenz, um der Partei in dieser Lage eine weitere Konfrontation zu ersparen.
2. Ich will nicht verschweigen, daß die von verschiedenen Seiten (Fraktionsmitglieder, UB-Vorsitzende, Delegiertenversammlung UB-Nord sowie von Bernd Meyer, dem nach dem Willen von Klaus Wedemeier zukünftigen Fraktionsvorsitzenden) erhobenen Rücktrittsforderungen mich erbittern und enttäuschen. Sie basieren alle auf der Arbeit des Untersuchungsausschusses St.-Jürgen-Str., von dem mir bisher keine Gelegenheit gegeben worden ist, auszusagen.
Wer in diesem Zusammenhang von Verstrickung o.ä. spricht, beteiligt sich an Diffamierungen, die mich verletzen. Wenn ich endlich - wie von mir wiederholt erbeten - Gelegenheit erhalte, vor dem Untersuchungsausschuß auszusagen, werde ich deutlich machen, daß alle meine persönliche Integrität in Frage stellenden Behauptungen und Diffamierungen nicht haltbar sind. Daß ich bisher auf das aus meiner Sicht unfaire Agieren des Untersuchungsausschusses nicht reagiert habe, geschah nach Diskussion und im Einvernehmen mit dem Landesvorstand in der gemeinsamen Auffassung, daß es mir in einem fairen Verfahren möglich sein würde, meine Standpunkte darzulegen.
Wenn es jetzt für nötig erachtet wird, mir noch vor einer Zeugenaussage den Rücktritt nahezulegen, sehe ich darin die Absicht, ohne mir die Chancen einer fairen Auseinandersetzung zu geben, personelle Konsequenzen herbeizuführen. Wenn dieses unabdingbare Voraussetzung für den vermeintlichen „Befreiungsschlag“ sein sollte, so will ich dem nicht im Wege stehen.
3. Mein Ausscheiden aus dem Landesvorstand durch diesen Rücktritt fällt mir nicht leicht. Ich habe dieses unbezahlte Ehrenamt in der Partei vor zwei Jahren auf Bitten vieler Genossinnen und Genossen übernommen und bin dafür und deshalb aus dem Senat ausgeschieden. Ich habe diese Arbeit mit großem Engagement betrieben, meine ganze Zeit und Kraft dafür eingebracht und mit der Partei zwei wichtige Wahlkämpfe 1987 gewonnen.
Es entspricht meinem Politikverständnis, meine Auffassungen nicht mit Hilfe von Seilschaften, sondern vertrauend auf die Macht der Argumente und die Überzeugungskraft von Personen durchzusetzen. Dabei werde ich bleiben.
Ich tröste mich mit einem Wort von Rosa Luxemburg: So ist das Leben, und so muß man es nehmen: tapfer, unverzagt und lächelnd - trotz alledem!
Herbert Brückner
N.S.: Da in der Partei - vornehmlich im Unterbezirk Bremen -Nord - die hohen Kosten für ein Geschenk der Vorstände zu meinem 50. Geburtstag kritisiert wurden, habe ich veranlaßt, daß dieses Geschenk - ein Stehpult - an das Parteibüro zurückge- wird. Einer solchen Erinnerung bedarf es nicht mehr.
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