: Erdrutsch
■ CDU/CSU in der Dauerkrise
G A S T K O M M E N T A R
Eine Krise der CDU sei das natürlich nicht, kommentiert der vom Donner gerührte Generalsekretär Heiner Geißler. Nein? Wie nennt man das, wenn eine bis vor Jahresfrist geradezu „schleswigholsteinisch„-selbstherrlich regierende Landespartei, ohne erkennbare Not und ohne sichtbaren Gewinn, den Landesvater in die Wüste schickt? Die Rede ist immerhin von der Pfalz, seit der Ära Kohl gewissermaßen Schwerpunkt bundesdeutscher Politik.
Eine Krise sei das nicht, sondern ein normaler demokratischer Wahlvorgang, versichert auch der Sieger von Koblenz. Er versteht sich als Exponent des fälligen Generationswechsels in der Union. Doch was haben die „Enkel“ in der CDU anzubieten außer verdünnten Aufgüssen sozialliberaler oder auch grün-alternativer Modernisierung beziehungsweise forschen Neoliberalismus‘ - was mehr als die Originale? Nicht ums Programm, um die Macht geht es. Unionsgeschichte ist seit Adenauers Zeiten eine Serie von Palastrevolten, Diadochenkämpfen und skrupellosen Abservierereien. Immer, wenn der Kanzler und sein Wahlverein verkalkten und die Macht zu verlieren drohten - 1963, 1966, 1973 - war ein Brutus zur Stelle. Trotz Moskaureise, Geschichtspolitik und wirtschaftlichem (Schein)erfolg bleibt Helmut Kohl im Lande, beim Wahlvolk wie in der Partei, eher als geringeres Übel toleriert denn populär.
Die Summe des Zerfalls ergibt schon mehr als die Teile dieses Erdrutsches auf Raten. Im Norden sind Stoltenberg und Albrecht angezählt - in der Mitte ist Vogel in Pension geschickt, Wallmann auf Tauchstation und OB-Brücks Frankfurter Korruptionsfeste kurz vor dem Fall - die föderale Republik ist für die Regierungspartei zu einer gefährlichen Gefällstrecke geworden. Die Brummis im Süden haben die Gurte angelegt und steigen auf die Bremsen. Die CSU nach Strauß und der nochmal davongekommene Späth sind noch fordernder und noch „flegelhafter“ geworden. Das Bonner Machtzentrum gibt sich noch standfest, doch auch da kippen die Matadore weg. Jenninger mußte gehen, und die Fraktion, in vielen Fragen tief zerstritten, steht in kaum noch verhohlenem Aufstand gegen ihren Alters-Chef Dregger und gegen die erlahmten Modernisierer aus der Parteizentrale. Die Personaldecke der prominenten Feuerwehrleute ist kurz geworden. Die regierungsnahe Presse, 'FAZ‘ und 'Welt‘ vor allem, legen Gerüchte-Feuerchen, wo es nur geht.
Die CDU/CSU Helmut Kohls steht, wie weiland die SPD Helmut Schmidts mit ihren Extremitäten im Spagat: zwischen CDA und Wirtschaftsflügel, zwischen Süssmuth und den Lebensschützern, zwischen Geißler und „Stahlhelm“, zwischen flackernden Nordlichtern und ewigen Südlichtern. Auch auf dem Mitte-Rechts-Spektrum ist das Integrieren von Interessen und Ideen schwieriger geworden, das Intrigieren ist leichter. Die Turnübung geriet auch den Christlichen nicht zur eleganten Figur, sondern zur schmerzhaften Verrenkung. Einzige Linderung: die rot-grüne Opposition hat immer noch kein neues Kür-Programm und die FDP gibt (noch) Hilfestellung. Da muß die CDU sich eben selber stürzen.
Claus Leggewie, Publizist und Politikwissenschaftler
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