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Grüne Bauern unter dem Joch Europas

Forum „Landwirtschaft - Naturschutz - Ernährungsqualität im Binnenmarkt der EG“ der Regenbogenfraktion / Regionalvermarktung statt grenzenloser Binnenmarkt  ■  Aus Brüssel A.Smoltczyk

So stand es nicht im Lehrbuch: „Ihr wollt die Überschüsse abbauen und senkt die Getreidepreise. Bon -dann produziere ich umso mehr, um mein Einkommen zu halten!“ Mehrproduktion bei sinkenden Preisen? Die Logik des Laurent Cartier von der französischen „Confederation Paysanne“ paßte nicht ins Konzept des Monsieur Waechter, der in der EG -Kommission für die GATT-Verhandlungen zuständig ist: „Dann sinken die Weizenpreise doch noch weiter, und dann ...“ dann ist eben Schluß mit Laurent Cartier, und es gibt einen Kleinbauern weniger im modernen EGEuropa.

Tatort Europa - Ende letzter Woche in Brüssel. Während sich vor dem Europaparlament Bulldozer durch den Schlamm pflügten, um die Fundamente für das Haus Europa zu legen, traf sich drinnen auf Einladung der Regenbogenfraktion ein buntes Häufchen Europäer: kritische Konsumenten aus Gütersloh, Kleinbauern aus Andalusien und Großkooperatisten aus St.Gallen; Milchfarmer von der grünen Insel saßen da neben toskanischen Grünen, und britische Kartoffelaktivisten neben holländischen Gen-Ethikern - kurz: ein jedes Land der EG war vertreten, um sich über die drohenden Konsequenzen der europäischen Einigung Klarheit zu verschaffen. Denn auf den Äckern der Regionen keimt seit langem ein Verdacht, und das Vieh in den Stallungen wird unruhig: Wenn auch die konkreten Folgen der Integration noch ungewiß und regional sehr verschieden sind, so steht außer Zweifel, daß ein Wegfall der Grenzen die ohnehin ablaufenden Tendenzen in Richtung auf Industrialisierung der Landwirtschaft, Großvermarktung und Konzentration beschleunigen wird. Die Modernisierung wird durch den Binnenmarkt an Tempo gewinnen, und wie ein Säurebad wird sie - wußte schon Max Weber - die traditionelle Kleinlandwirtschaft wegätzen.

Schweinesystem

Daß die EG-Kommission diesen kurzen Prozeß nicht nur in Kauf nimmt, sondern durch ihre Förderungspolitik noch antreibt, entnahm die kritische Versammlung den Fragestunden an die Kommissionäre, allesamt kluge und gutgekleidete Herren um die vierzig. Bereits die garantierten Mindestpreise für Landwirtschaftsprodukte benachteiligte, so rechnete der grüne Abgeordnete Graefe zu Baringdorf aus Baringdorf vor, gerade die Kleinbetriebe. Die gleichmäßige Subventionierung von Mengen, von Litern und Doppelzentnern, ließe das Brüsseler Geld zu den Großproduzenten fließen. Je mehr Schweine im Stall, desto mehr Subventionen. Das Schweinesystem kennt keine Gerechtigkeit. Statt dessen schlug Bauer Cartier den Brüsselern vor, „Staffelpreise“ einzuführen: einen hohen Satz für die ersten Doppelzentner Weizen, und abnehmende Sätze für alle folgenden Mengen. So würden die kleineren Betriebe gefördert, die verbrauchernah und (manchmal auch) ökologisch produzieren würden.

Doch die EG-Kommission - so ihre anwesenden hohen Beamten möchte überhaupt weg von den Subventionen: „Sie wollen letztlich Protektionismus“, befand Monsieur Waechter. „Wir in der Kommission wollen dagegen Lösungen, die Marktbedingungen berücksichtigen.“ Schließlich drängten die USA im GATT auf einen völligen Abbau der Agrarsubventionen. Schön und gut. Die Grünen halten dem entgegen, daß auch dann noch aufgrund versteckter Subventionen keine Marktpreise gelten werden - außer im Bioladen um die Ecke, der auch heute schon seine Produkte zu Marktpreisen verkaufen kann. Und wohin fließen die Subventionen, nachdem die Getreidepreise in den letzten Jahren durch EG-Beschluß gefallen sind? Etwa zur Nahrungsmittelindustrie und in die Kassen der Exporteure, wie Baringdorf vermutete? „Die Kommission subventioniert nicht die Bauern, sondern den Export. Ihre Förderungspolitik nützt den großen Einheiten. Dem widersprach keiner auf dem Podium. Welche Folgen die Exportstrategie der Kommission an der Peripherie Europas hat, erzählte Manuela Cunha. In Portugal läuft mit Brüsseler Hilfe ein großes Aufforstungsprogramm. Eukalyptus wird gepflanzt. Na und? „Der Eukalyptus wächst sehr schnell und sein Holz wird zu Exportzellulose verarbeitet. Die Aufforstung findet gerade in den fruchtbarsten Gebieten statt, etwa im Tal des Tejo. Weil der Eukalyptus viel Wasser braucht und kein Unterholz zuläßt, verändert sich die ganze Landschaft. Es gibt weder Vögel noch Wild in diesen Industriewäldern. Ganz zu schweigen vom Schmutz der Zellulosefabriken.“

Industriewälder

„Jedes Aufforstungsprojekt soll in Zukunft im Voraus auf seine Umweltfolgen untersucht werden“, tröstet Dyonisios Dessylas von der Abteilung „Landwirtschaft und Umwelt“ der Kommission. Und weshalb sollte ihm mißtraut werden? Schließlich kaufen auch die Frauen der EG-Beamten auf dem Brüsseler Biomarkt. Es ist nicht die Schuld der braven Technokraten, wenn es in den Dörfern der Toscana keine Frischmilch mehr zu kaufen gibt. Das Problem liegt tiefer, ist quasi ein transzendentes: Der Wegfall der Grenzen in einem EG-weiten Binnenmarkt für Nahrungsmittel führt nicht nur zu weiterer Konzentration der Lebensmittelproduzenten, die groß genug sein müssen, um für den ganzen Markt produzieren zu können, sondern hat Konsequenzen auch auf die Qualität der Nahrung in einem künftigen Haus Europa. Denn die Kontrolle auf Einhaltung der Verpackungs-, Geschmacks und Gesundheitsnormen ist der nationalen Gesetzgebung entzogen und EG-Standards unterworfen. Und wer möchte schon darauf wetten, daß sich der EG-Standard an den jeweils strengsten, also verbraucherfreundlichsten der Mitgliedsländer anpaßt? Damit nicht genug: Im Binnenmarkt würden auch die Transportwege länger werden. Die Nahrung müßte haltbarer, also „besser“ verpackt werden. In Großbritannien beträgt der Anteil vorgefertigter Nahrung bereits 70 %; und es war ein Engländer, Tim Lang von der „London Food Commission“, der aus bitterer Erfahrung ein Universum von PappToast und Dosengemüse schilderte: „Wird ab 1992 die Ernährungsweise des Nordens nach Südeuropa exportiert werden, wo bislang noch am besten gegessen wird?“ Horribile dictu.

Was tun?

Was also ist zu tun? Es wurden auf dem Brüsseler Forum nicht wenige Vorschläge gemacht. In allen Sprachen. Da wäre etwa die Direktvermarktung: Die Vermittlung durch den Handel wird ausgeschlossen, der Bauer liefert per regionalem Verteiler direkt an die Konsumenten. Der europaweiten Vermarktung durch immer größere Betriebe würde so durch ein Netzwerk der Regionen entgegengesteuert werden und die Betriebe bekämen höhere Produzentenpreise, weil die Vermittlungsstufe Handel wegfällt. In der Schweiz wird bereits ein stattliches Prozent der Eier direktvermarktet. Hier treffen sich die Interessen der Kleinbauern an einer regionalen Vermarktung und geringen Transportwegen mit dem Interesse des Verbrauchers an frischer Nahrung. Ein andalusischer Bauer machte den Vorschlag, chemische Düngemittel mit einer „Stickstoffsteuer“ zu belasten, um auch Qualitätsunterschiede in Marktpreise eingehen zu lassen. Es müßten Vertriebs- und Informationsstrukturen entwickelt werden, damit sich Verbrauchermärkte entwickeln und die informierte Nachfrage über die Produktion bestimmen könnte. Und überhaupt müßten Verbraucher, so eine Forderung der Konferenz, auf allen Ebenen der Kommissionsarbeit konsultiert und beteiligt werden.

Sollte es also Auswege aus dem Joch des Binnenmarktes geben? Vielleicht - wenn man klein genug ist ...

Einen umfangreichen Reader Für eine bäuerliche Landwirtschaft hat der „FB Landschaftsplanung der Gesamthochschule Kassel“ dankenswerterweise herausgegeben. Zu erhalten ebendort: Henschelstr. 2, 3500 Kassel.

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