: Prozeß-Farce in Nordirland
Todesumstände von drei vor sechs Jahren erschossenen IRA-Mitgliedern erneut vor Gericht Keine Aussagen beteiligter URC-Polizisten / Geschworenen werden Informationen vorenthalten ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Ein Gericht in der nordirischen Hauptstadt Belfast hat gestern entschieden, daß die öffentliche Untersuchung der Todesumstände von drei IRA-Mitgliedern zu Ende geführt wird. Die Angehörigen der vor sechs Jahren (!) von der Polizei getöteten IRA-Mitglieder hatten am vergangenen Montag, dem ersten Verhandlungstag, durch ihre Anwälte beantragt, die Untersuchung im nordirischen Craigavon abzubrechen. Sie verließen den Gerichtssaal unter Protest, weil Untersuchungsleiter Elliott die schriftlichen Aussagen der an den Erschießungen beteiligten Polizisten verlesen ließ, obwohl die Beamten sich weigerten, persönlich zu der Untersuchung zu erscheinen. Das Gericht beschloß inzwischen, die Protokolle nicht in die Untersuchung einzubeziehen.
Sean Burns, Gervaise McKerr und Eugene Toman waren im November 1982 von einer mobilen Sondereinheit der URC -Polizei mit über hundert Kugeln durchsiebt worden. Die drei waren unbewaffnet. Nach der Tat verwikkelten sich die Polizisten in so krasse Widersprüche, daß bei der katholischen Bevölkerungsminderheit die Überzeugung wuchs, die fast ausschließlich protestantische URC verfolge eine „shoot to kill„-Politik (schießen, um zu töten) gegen „mutmaßliche IRA-Terroristen“.
Die Beamten wuden jedoch vom Mordvorwurf freigesprochen. Um die Katholiken zu beschwichtigen, setzte der nordirische Staatsanwalt eine Untersuchungskommission ein, mit deren Vorsitz er den Polizeichef von Manchester, John Stalker, betraute. Als Stalker bei seinen Nachforschungen feststellte, daß höchste URC-Kreise und der britische Geheimdienst MI-5 in die Planung und Vertuschung der Morde verwickelt waren, wurde er unter fadenscheinigen Gründen vom Dienst suspendiert. Sein offizieller Bericht ist nie veröffentlicht worden.
Die öffentliche Untersuchung in Craigavon, die mindestens drei Wochen dauern wird, ist von vornherein zur Farce degradiert. Die Geschworenen sind nicht berechtigt, einen Urteilsspruch zu fällen. Sie können lediglich Zeitpunkt, Ort und Ursache des Todes ermitteln. Darüber hinaus hat Nordirland-Minister Tom King in der vergangenen Woche ein „Immunitätszertifikat“ (PIIC) ausgestellt, das allen beteiligten URC-Beamten Anonymität zusichert. Das PIIC verbietet außerdem „im nationalen Interesse“ sämtliche schriftlichen oder mündlichen Aussagen, die Aufschlüsse über die „antiterroristischen Operationen“ der URC geben könnten. Dazu gehören alle Informationen über Aufbau, Kommandostrukturen, Ausbildung Ausrüstung Überwachungstechniken und Nachrichtenübermittlung der URC -Sondereinheiten. Dadurch ist für die Geschworenen nicht feststellbar, wer den Befehl zu den Todesschüssen gegeben hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen