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Brasiliens Linke im Aufwind

■ Die Kandidaten der linken Parteien siegten bei den Bürgermeister- und Kommunalwahlen in fast allen wichtigen Städten / Nun auch Hoffnungen auf einen linken Präsidenten

Rio de Janeiro (ap/dpa/taz) - Bei den Bürgermeister- und Kommunalwahlen in Brasilien hat die Linke am Dienstag offenbar einen sensationellen Sieg errungen. Die sozialistische „Partei der Arbeiter“ (PT) des ehemaligen Gewerkschaftsführers Luis Ignacio Silva alias „Lula“ und die „Demokratische Partei der Arbeit“ (PDT) des Sozialdemokraten Leonel Brizola sowie andere Linksparteien übernahmen in fast allen wichtigen Städten Brasiliens die Führung.

In Sao Paulo, der größten Stadt Südamerikas, schlug die bisher so gut wie unbekannte 53jährige Soziologin und Sozialarbeiterin Luiza Erundina (PT) ihren Gegenkandidaten Paulo Maluf, einen Unternehmer, der bei den indirekten Präsidentschaftswahlen 1985 von den Militärs unterstützt worden war. Erundina löst nun in der Wirtschafts- und Finanzmetropole des Landes den rechtspopulistischen Oberbürgermeister Janio Quadros ab, der sich in jüngster Zeit vor allem dadurch ins Gespräch gebracht hat, daß er Parksündern persönlich Strafgelder abknöpfte. In Rio de Janeiro löst Marcello Alencar von der PDT den Wirtschaftswissenschaftler Saturnino Braga ab, der 1985 die Wahlen ebenfalls als Kandidat der PDT gewonnen hatte, später aber die Partei verließ, nachdem er sich mit PDT-Chef Brizola überworfen hatte.

Für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Herbst wird nun ebenfalls ein Sieg der Linken erwartet. Bei dieser Wahl wird zum ersten Mal seit 1960 und nach den 20 Jahren Militärdiktatur der Staatschef direkt vom Volk gewählt werden. Größte Chancen werden nun Brizola eingeräumt. Nach französischem Muster haben er und Lula bereits eine Absprache getroffen: Beim ersten Wahlgang wollen sie getrennt antreten; im zweiten Wahlgang soll der Schwächere den Stärkeren stützen, um die linke Wählerschaft nicht zu spalten. Die große Unbekannte ist noch das Militär. In den vergangenen Wochen kursierten immer wieder Putschgerüchte.

Die Kommunalwahlen waren von einer breiten Streikwelle begleitet. Seit dem 11. November sind mehr als 40.000 der insgesamt etwa 60.000 Arbeiter der Ölraffinerien im Ausstand. Überdies sind 23.000 Metallarbeiter, 50.000 Elektrizitätsarbeiter, in Rio de Janeiro 114.000 Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes und in Sao Paulo 30.000 Lehrer und Verwaltungsangestellte der Universität im Streik. Ihre Hauptforderung: höhere Löhne. Die Streikbewegung hat während der vergangenen Tage die Kommunalwahlen aus den Schlagzeilen der Presse verdrängt. So titelte das liberale Magazin 'Isto‘ zu den Wahlen: „Die Armee erklärt den Krieg und die Demokratie wird schachmatt gesetzt.“ Dazu ein Foto vom Militäreinsatz in Volta Redonda, dem größten Stahlzentrum des Landes, wo drei Arbeiter erschossen wurden.

thos

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