ALLZUMENSCHLICH, DIESE PUPPEN

■ „Hans Wurst Nachf.“ zeigt „Tschechow“

In „Tschechow“, seiner ersten Produktion für Erwachsene, stellt das Puppentheater „Hans Wurst Nachf.“ Einakter Tschechows vor. Kurze Komödien von derbem wie analytisch scharfem Humor, denen das Tragische nicht abhold ist, die es vielmehr in seinem unerwarteten momentanen Aufscheinen um so deutlicher hervortreten lassen. Keine leichten Stücke also, wie es schauspielerische Lauflernexperimente suggerieren, für die sie bisweilen herhalten müssen.

Solche müssen wir von „Hans Wurst Nachf.“ so wenig befürchten wie die Sentimentalität der obligaten Birkenwälder. Hier trägt der verliebte Junker Stroh unterm Stiefel: Smirnow, „der Bär“, der im Verlieben und Verlassen bis zur Abgebrühtheit erfahren scheint. Und doch fällt er aus dem Streit um alte Schulden in Liebe zur Witwe Popowa, deren Bereitschaft zum Duell ihm wahre Emanzipation vorstellt. Diese, die sich in der Rage ihrer Rede dem eitel betrauerten Gatten als ehebrüchiges Schlitzohr enthüllte, steht ums Jawort nicht an.

Fast eine Umkehrung dieser glücklich geendeten Geschichte: „Der Heiratsantrag“. Für Lomow und Natalja scheint von Anfang an klar zu sein: gleiche Furcht, das „heiratsfähige“ Alter zu überschreiten, treibt sie zur Vereinigung. Eröffnete ihr bloß der neurotisch verzückte Lomow erst einmal sein Begehren! Doch wie es unter verlegenen Verliebten so ist, man spricht über andere Themen, diese, kaum angerührt, entfalten ihre furchtbare Eigendynamik, kitzeln Stolz und Eigenliebe hervor, steigern den Streit hier bis zum herzlichen Scheintod des fickrigen Freiers und darüber hinaus. Bis zum schließlich lichten Augenblick des betrunkenen Brautvaters, der erkennt: das Eheleben hat schon begonnen.

Und die erlesene Tragikomik des Njuchin, der - selbst Raucher - aus grenzenloser Demut gegenüner seinem Ehegespons „Von der schädlichkeit des Tabaks“ vorträgt. Soll man sich dem Mitgefühl ergeben mit seinem Selbstverlust, seiner am Rande des Verfolgungswahns treibenden Verzweiflung, oder dem Spott über diesen unsäglichen Pantoffelhelden? Soll man weinen, lachen über den glücklichen Landhausbesitzer („Tragödie wider Willen“), den die freundlichen Verpflichtungen seiner Siedlungsgenossen, ihnen doch dies und jenes aus der Stadt mitzubringen, an den Rand des Selbstmords treiben, und der statt Verständnis beim Freunde nur den Wunsch erfährt, doch noch ein kleines Mitbringsel der Geliebten ins Landhaus mitzunehmen? Statt mordwütig nach Blut zu schreien, bricht er hier in verzweifelte „Kaufen, kaufen...“ Rufe aus. Diese Form des Wahns ist wohl auch aktueller.

Lachen über diese von Tschechow trefflich ironisierten Allzumenschlichkeiten lehren uns die Puppen. „Hans Wurst Nachf.“ haben sich für diese Aufführung mit Zlatko Bourek (Regie und Bau der Puppen) verbunden, der manchem noch von seiner köstlichen Hamlet-Parodie (dem dem teatar & td, zagreb) in Erinnerung sein mag. Das Spiel gestalten seine dem japanischen Bunraku entlehnten halb- bis dreiviertellebensgroßen Puppen, die der in schwarzer Verhüllung dem Bühnenhintergrund assimilierte Spieler im Stehen oder von einem rollenden Hocker aus bedient, wobei seine als Beine der Puppe verkleideten Unterschenkel ihr zusätzliche Beweglichkeit geben.

Da ist die Komödie. Freilich übersteigern die Puppen die unwirkliche komödiantische Mime und Geste nochmals: Das beginnt bei den vorzüglich geschnitzten Charaktergrimassen und hört bei den erschröcklich hochgereckten Hälsen nicht auf.

Und da ist das Puppenspiel, sind Spieler, die sich ihrer Tradition und ihrer Fähigkeit bewußt sind, eben nicht nur Hanswurstiaden, sondern auch ernste und schwierige Stoffe aufzunehmen. Und sie wissen, daß das Puppen- gleich dem Schauspiel intensive Rollenarbeit verlangt. So erweckt die geübte und vielgestaltige Sprache des Spielers die Puppe erst zum Leben. Binnen kurzem nehmen wir ihr die Worte vom Munde ab und Erstaunliches geschieht: trotz ihrer fixierten Mime vermag auch die Puppe die Rolle zu wechseln.

„Hans Wurst Nachf.“ zeigt uns mit „Tschechow“ einen Stückereigen, der so lustig wie getreu dem Autor ist, und einen Stil, der eine echte Bereicherung der Berliner Theaterszene ist.

glagla

„Hans Wurst Nachf.“ zeigen „Tschechow“ bis zum 18.Dezember, Do-So, 21 Uhr, im „Theater Zerbrochene Fenster“, Schwiebusser Straße 16, 1-61.