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PLÜSCH UND PO(M)P

■ Marc Almond im Metropol

In der Mitte der Bühne, erhöht auf einem Podest, steht ein rotgepolsteter Sessel mit roten Plüschkissen, dahinter eine hochgezogene geschnitzte Holzrückenlehne. Angestrahlt in Rot, umgeben von flackernden Elektrokerzen, der Altar des Popsängers. Marc Almond läßt seine Band die ersten Minuten allein ein Potpourri spielen, dann endlich stürmt er hervor, reißt die Arme hoch, verteilt Küßchen rundherum, ergreift Hände, die ihm entgegengestreckt werden, verbeugt sich tief. Er atmet den Jubel ein, ohne nur einen Ton gesungen zu haben, beherrscht er die Szenerie.

Marc Almond ist die männliche Diva, er bewegt sich geschmeidig wie eine Balletteuse, irgendwann wird er der König sein, der auf dem Plüschsessel davonschwebt. Er trägt ein rotes, eng anliegendes Flanellhemd, mit jedem Titel öffnet sich, wie von Geisterhand, ein Knopf mehr auf dem Weg nach unten, bis er schließlich den letzten in einer heftigen Bewegung aufreißt - „my golden breast“.

Marc Almond ist die Wiedergeburt des Kitsches als einzig wahre Pop-Kunst, die ihre Lebenslüge ständig präsent hält und gleichzeitig konsequent negiert. Er verkörpert die Illusion der bunten Traumwelt, in der sich jedes große Gefühl erleben läßt, sei es auch noch so banal. Er weiß um die Lüge, die sich hinter jeder Liebeserklärung verbirgt. „The chaos in my heart - let's get together - before we fall apart.“

Er schwelgt in verzweifelten Arien, singt sich um seine Sinne, zerrt in reißenden Armbewegungen sein Herz heraus, schleudert es uns entgegen. Verzweiflung, Schmerz, Liebe und Eifersucht, in der narzißtischen Pose des in sich Verliebten existiert keine unangenehme Künstlichkeit. „Tenderness is a weakness“ - Marc Almond ist schwach, aber er ist kein Schwächling. Er genießt den Beifall wie ein kleiner Junge, der in der Ecke des Schulhofs in den ersten Küssen seines Angebeteten ersäuft. Der perfekte Entertainer verkauft jedes Klischee.

Vielleicht kann er nicht richtig singen, trifft nie den richtigen Ton, liegt immer ein wenig daneben. Vielleicht fehlt seiner Musik eine Gitarre neben den dominanten Keyboards, aber das ist vollkommen zweitrangig, solange es gelingt, in der Illusion des Lebens als Popsong alles zu vereinen, obwohl im gleichen Moment alles zerbricht.

Die Bühne ist in lila Nebel gehüllt, Marc nimmt sein Plüschkissen, drückt es an sich, legt sich weich gebettet vor seinen hölzernen Thron. „How good it is to be in your bed.“ Der Nebel legt sich, Sterne leuchten hinter ihm auf, eine Weltkugel mit vielen kleinen Punkten scheint in der Dunkelheit, darauf ein großer Stern. Es ist sein Stern, und er leuchtet heller denn je. „The stars we are“ heißt sein neues Album, nun setzt er sich endlich in sein überdimensionales Polstermöbel, lächelt über alle hinweg: The star I am. Marc Almond ist schon lange nicht mehr der 'Soft Cell Tainted Love'-Typ, er will auch nicht mehr der Kultstar einer kleinen Fangemeinde sein. Er will endlich der erwachsene Junge sein, dem alle zu Füßen liegen. Und er wird es schaffen, alle werden ihn lieben, solange er sich sich selbst liebt. Nicht nur die Schwulen, die sich vor mir küssen, auch die Frauen, die Männer immer zu brutal fanden, und die Heteros, denen Schwule immer zu zärtlich waren.

Ob mit seinem Tanzfetzer „Tears Run Rings“ oder einer traurigen Liebesschmachtschnulze, dieser Schönste und Kühnste aller Sänger erweicht jedes Herz. Wo Darsteller und Dargestelltes so miteinander verschmelzen, mag man kaum den Konzertsaal verlassen, wenn Marc in der dritten Zugabe immer wieder bittet: „Please don't go, and if you stay, I give you a night sooh...“

Andreas Becker

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