: Die Billigöl-Krise
■ OPEC-Tagung in Wien: Der sinkende Spritpreis wird zur Bedrohung
Kaum eine Gesellschaft der industrialisierten Welt ist so unmittelbar von den Beschlüssen der Wiener Konferenz der erdölexportierenden Länder (OPEC) betroffen wie die bundesdeutsche. Denn der Preis, den unsere freien Bürger für ihren Sprit zu zahlen haben, hängt stärker als in den anderen Ländern vom Weltmarktpreis ab. Grund: Die Bundesregierung verzichtet darauf, Preisschwankungen durch die Mineralölsteuer auszugleichen. Dabei könnte sie die Billigölschwemme ausnutzen, um ihre Kassen aufzufüllen und eine ökologischere Verkehrspolitik zu finanzieren. Andernfalls droht eine Billigölpest: Zum ersten Mal seit 1973 stiegen die Importe wieder.
Bonn feiert das siebte Jahr des Wirtschaftsaufschwungs, Wachstum allerorten. Im Jahr der Olympiade ging's erst recht schneller, höher, weiter aufgrund des billiger gewordenen Schmiermittels der Wirtschaft: dem Öl. Aber trotz des nunmehr seit fast drei Jahren anhaltenden Niedrigpreisniveaus sanken die Rohölimporte bislang. Von 110,5 (1973) auf 63,8 Millionen Tonnen im Jahre 1987. Der inländische Mineralölverbrauch insgesamt ging ebenfalls um rund 33 Millionen Tonnen zurück. Die Sparmaßnahmen, nach den „Ölpreisschocks“ 1973 und 1978/79 eingeleitet, griffen scheinbar, insbesondere in der Bundesrepublik, wo das Energiesparen zum Hobby eines jeden guten Heimwerkers gehört.
Wer hätte noch Anfang der achtziger Jahre einen Tropfen Öl darauf verwettet, daß der Literpreis für Benzin von 1,50 DM mal wieder unter eine Mark rutschen würde. Inzwischen sind wir seit 1986 an entsprechende Preislagen gewöhnt.
Der für unmöglich gehaltene Wendepunkt ist jetzt auch bei den Rohöleinfuhren erreicht. Der billige Sprit treibt die Verbrauchsmengen wieder in die Höhe, und zwar gehörig. Nachdem im Gesamtjahr 1987 die Rohölimporte der Bundesrepublik Deutschland noch einmal um 4,1 Prozent zurückgegangen waren, kamen in den Monaten Januar bis September 1988 schon wieder 9,4 Prozent mehr Öl ins Land geschwappt als in denselben Vorjahresmonaten. Dies gab das Bundesamt für Statistik im November bekannt.
Und es gibt keinen Grund, warum sich diese Importwut in absehbarer Zeit beruhigen sollte, denn der Öleinkauf ist insbesondere für die Bundesrepublik denkbar attraktiv. Trotz der erheblich höheren Einfuhrmenge war die dafür zu bezahlende Rechnung um 11,2 Prozent beziehungsweise eine satte Milliarde geringer ausgefallen als im Vorjahr. Ohne den Zusammenbruch des OPEC-Kartells wäre all dies natürlich nicht denkbar gewesen. Doch der kurzzeitige Einbruch der Rotterdamer „Spot„-Marktpreise auf dem Markt für frei handelbares Rohöl im Spätsommer war noch nicht einmal die gewichtigste Ursache. Entscheidend war der Kurs der Währung, in der das Rohöl weltweit abgerechnet wird. Der Preis für den US-Dollar war im Zuge des Börsencrash vom Oktober 1987 zusammengeschrumpelt und hat sich im laufenden Jahr nicht erholen können. Deshalb fiel der Durchschnittspreis für die Tonne Rohöl bis September 1988 auf 206 Mark, womit er um 20 Prozent unter dem Vorjahresniveau lag.
Auch die Bundesregierung - durch die Setzung von benzinpreis- und verkehrspolitischen Rahmendaten diesbezüglich in der Verantwortung - muß zugeben, daß der Autoverkehr Einflußfaktor Nummer eins beim Mineralölverbrauch ist. Schon im vergangenen Jahr, als die Importe noch rückläufig waren, konnte der Benzinverbrauch schon satte Zuwachsraten verzeichnen: laut Bonn 3,6 Prozent. 25 Millionen Tonnen Sprit (ohne Diesel gerechnet) jagten die freien Bürger auf ihrer freien Fahrt durch Vergaser und Auspuff in die bundesdeutsche Luft. Die Bundesregierung bekennt: „Ursache hierfür war wiederum eine hohe Fahrleistung der Kraftwagen sowie eine starke Erhöhung des Bestandes um 460.000 Einheiten. Der verbrauchsmindernde Effekt der modernen Methoden reichte nicht aus, um den Mehrverbrauch des Bestandes durch eine erhöhte Fahrleistung auszugleichen.“ Zwar erhöhte sich dabei der Anteil an unverbleitem Benzin von 2,6 auf 6,4 Millionen Tonnen, aber dieser zweifelhafte Gewinn für den deutschen Wald dürfte dadurch mehr als wettgemacht worden sein, daß der Absatz an stinkendem Dieselkraftstoff wieder um 2,5 Prozent angestiegen ist - „nur“, wie die Bundesregierung in ihrem offiziellen Bulletin bewertet - auf insgesamt 15,9 Millionen Tonnen. Inwieweit die Autos auch weiterhin sparsamer werden, ist solange nicht klar, wie der Benzinpreis weiterhin auf niedrigem Niveau verbleibt. Die heutigen Sparerfolge neuer Modelle sind noch direkte Ergebnisse des letzten Ölpreisschocks von 1978. Der Vorlauf für ein neues Automodell beträgt fünf bis zehn Jahre. Und wer könnte garantieren, daß bei einem Spritpreis, der zur Zeit keinen größeren Anteil am Einkommen der Autofahrer einnimmt als vor 1973, das Thema Benzineinsparungen in den Konstruktionsabteilungen noch vor Komfort und elektronischem Schnickschnack rangieren wird, wenn es um die Autos der späten neunziger Jahre geht?
Die BRD, das freieste Autofahrerland, ist auch in anderer Hinsicht etwas Besonderes. Dem Einfuhr-Zuwachs beim Rohöl in Höhe von 9,4 Prozent steht die Erwartung der Internationalen Energieagentur gegenüber, die den Gesamtzuwachs an Ölverbrauch in den westlichen Industrieländern für das Jahr 1988 auf über zwei Prozent hochrechnet. Wir sind also wieder mal „überdurchschnittlich“. Der europaweit mit Abstand billigste Treibstoff an den Zapfsäulen der BRD trägt das seinige dazu bei.
Ulli Kulke
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