„Sie hat sich nirgendwo durchgesetzt“

Renate Schmidt, SPD-Bundestagsabgeordnete und Frauenpolitikerin, zieht eine Bilanz der Arbeit von Rita Süssmuth: „Sie hat nie erkennen lassen, daß sie weiß, wie eine Politikerin mit Macht umzugehen hat“  ■ I N T E R V I E W

taz: Die CDU-Frauenministerin Rita Süssmuth wird Bundestagspräsidentin; sie ist auf diesen Posten mit weit weniger Einfluß weggelobt worden. Ist Rita Süssmuth gescheitert?

Renate Schmidt: In meinen Augen ist sie gescheitert. Sie hatte eine hervorragende Art, Politik zu repräsentieren. Aber sie hat es nicht geschafft, Politik durchzusetzen.

Woran machen Sie das fest?

Das betrifft alle Bereiche: die Wiedereingliederung von Frauen ins Berufsleben, die Erweiterung des Elternurlaubs, das Vereinbaren von Beruf und Familie, die Frage des arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetzes, den Gesetzentwurf zur Vergewaltigung in den Ehe - sie hat sich nirgendwo durchsetzen können, auch nicht bei der Rentenreform, die ja sehr frauenfeindliche Ansätze hat.

Im Gesundheitsbereich steht sie zwar für Aids-Politik, und wir haben sie immer gegen die Gauweiler-Linie unterstützt, aber auch da hat sie keine wirklich klare Aufklärungskampagne zustande gebracht. In anderen Feldern der Gesundheitspolitik hat sie sich zurückgehalten, denken wir nur an das Lebensmittelrecht. In der Jugendpolitik hat sie uns ein neues Jugendhilferecht angekündigt, wir haben bis heute keinen Entwurf gesehen.

Lag das nun an ihr, oder ist das nur ein strukturelles Problem?

Die große Sympathie in der Bevölkerung kommt ja dadurch zustande, daß sie sich in vielen wichtigen Fragen abweichend vom Hauptstrom der Union bewegt hat. Das hat positives Aufsehen erregt. Aber in Bonn hat ihr das wenig geholfen. Sie hatte zuwenig Erfahrung mit der Verwaltung und ist vielleicht zu sehr Wissenschaftlerin geblieben. Sie hat nie erkennen lassen, daß sie weiß, wie eine Politikerin mit Macht umzugehen hat. Wenn ich daran denke, wie sie sich vom Bundeskanzler Frauenministerin nennen ließ, ohne die Frage der Kompetenzen, des Geldes und des Personals geklärt zu haben! Das ist dem zum selben Zeitpunkt ernannten Umweltminister Wallmann nicht passiert. Und das genau ist der Punkt, sie hätte sagen müssen: 'Ich lasse mich im Wahlkampf nicht nur Frauenministerin nennen, sondern ich setze mich zur Wehr und mache das nur, wenn bestimmte Dinge zuvor geklärt sind.‘

Dennoch war Frau Süssmuth für die SPD ein Problem. Sie hätten ihr ja oft Beifall klatschen können, wenn sie im Bundestag geredet hat.

Das stimmt sicherlich. Es war schwierig, sich von der deklaratorischen Politik von Rita Süssmuth abzusetzen. Wir hatten über weite Strecken vergleichbare Ansichten. Nur: Sie hat sich auf Appelle beschränkt, und das kann die Opposition, aber nicht die Ministerin.

Wenn Sie nun an Frau Höhler oder an Frau Verhülsdonk denken - was könnte das für die künftige CDU-Frauenpolitik bedeuten?

Ich zerbreche mir ungern den Kopf der CDU, und es sind ja inzwischen sehr viele Namen im Gespräch. Frau Höhler kann ich schwer einschätzen. Frau Verhülsdonk kenne ich besser, sie ist in der Frauenpolitik sehr engagiert und vertritt in der Frage der Vergewaltigung in der Ehe auch eher die SPD -Position. Aber insgesamt liegt sie sicherlich eher auf der Mehrheitslinie der CDU-Fraktion und -partei als Rita Süssmuth, auch im Hinblick auf das §218-Beratungsgesetz. Für die Koalition würde das weniger Konfliktstoff bedeuten. Das war sicherlich auch so gewollt.

Interview: Ursel Sieber