: Vergewaltigung: Urteil tötet Opfer
Italienisches Gericht läßt drei Vergewaltiger frei / Täter waren in erster Instanz zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden / Opfer stirbt an den Folgen des Überfalls / Hoffnung auf Wende in italienischer Justiz zerschlagen / Täter angeblich „nicht sozial gefährlich“ ■ Aus Rom Werner Raith
Im Alter von gerade 30 Jahren ist in Italien Maria Carla Cammarata gestorben. Sie war im März im Zentrum Roms von drei Männern vergewaltigt worden. Die Freilassung der Täter letzte Woche überlebte sie nur um zwei Tage.
Die Männer hatten sie am Vorabend des Weltfrauentags an der zentralen Piazza Navona in Rom überfallen und brutalst mißhandelt. Offizielle Todesursache von Maria Cammarata war eine Lungenentzündung, doch nach Ansicht italienischer Frauenverbände und ihrer Verteidigerin Tina Lagostena Bassi ist ihr Tod auch eine Spätfolge der erlittenen Mißhandlungen. Und mißhandelt wurde sie nicht nur während der Tat. „Die schlimmsten Wunden“, sagte Maria Carla nach der Verhandlung in erster Instanz gegen die Vergewaltiger, „waren nicht die an der Piazza Navona, sondern die im Gerichtssaal.“ Und zu einem der Verteidiger gewandt: „Ich möchte lieber noch sechsmal vergewaltigt werden, als Ihnen noch eine Sekunde zuzuhören.“ Worauf der Advokat sie wegen Beleidigung anzeigte.
Seit Wochen hatte Maria Carla nun die typischen Zeichen schwerer psychosomatischer Defekte, Pusteln am ganzen Körper, Kurzatmigkeit, Schwächeanfälle. Die Symptome haben sich - nach Angaben ihrer Anwältin - besonders verstärkt, als am Dienstag voriger Woche die im Mai in erster Instanz verhängten fast fünf Jahre Freiheitsentzug in zwei Jahre und einen Monat umgewandelt - und die drei Vergewaltiger sofort auf Bewährung entlassen wurden; Begründung: Die drei seien „nicht sozial gefährlich“. Dieses Verhalten des Gerichts hätte niemand in Italien für möglich gehalten. Auch wenn sich die Zeichen für eine erneute Offensive männlicher Oberherrschaft in den letzten Monaten mehrten, so hatten doch zahlreiche Vergewaltigungsurteile noch an eine Wende hin zum Schutz des Opfers glauben lassen: Unter vier Jahren Gefängnis war bei Schuldspruch kaum einer der Prozesse der letzten zwei Jahre zu Ende gegangen. Mehrere Gesetzesentwürfe - im Parlament kurz vor der Verabschiedung
-sehen ebenfalls einen verstärkten Schutz vor der entwürdigenden Inquisition durch die Verteidiger sowie die Zulassung von Frauenverbänden als Nebenklägerinnen vor. Das Urteil gegen die drei von der Piazza Navona spricht dieser Entwicklung blanken Hohn, und so haben es wohl auch Geistesverwandte der Vergewaltiger verstanden. Bei der Anwältin Maria Carlas liefen gleich danach zahlreiche anonyme Anrufe ein: „Jetzt steht es eins zu eins, und wir werden weiter zuschlagen und gewinnen.“
Mit dem Tod Maria Carlas, die bereits am 8.März zum Symbol der italienischen Frauen geworden ist, geht eine Leidensgeschichte ohnegleichen zu Ende. Mit unerhörter Frechheit hatten die drei Männer noch im Polizeiauto eine Art „Rechtmäßigkeit“ Fortsetzung Seite 2
Kommentar Seite 4
ihrer Tat reklamiert: „Was? Wegen einer einfachen Vögelei wollt Ihr uns verhaften?“ Im Gerichtssaal hatten Freunde der Angeklagten Mitglieder von Frauenverbänden beschimpft und teilweise tätlich angegriffen; die Verteidiger hatten sich geradezu überboten in infamen Angriffen auf Maria Carla. Daß sie früher einmal drogenabhängig war, diente als „Beweis“ für die „selbstverständliche Bereitschaft der Frau zur Prostitution„; einer der Anwälte rief dem Richter zu: „Schaut sie doch an, ist die wirklich eine Frau, die man vergewaltigen möchte?“ Ein anderer Anwalt beim Revisionsprozeß sagte, Maria Carla sei eine Lügnerin, denn: „Alle Frauen sind Lügnerinnen; das ist wissenschaftlich erwiesen.“
Als die drei Männer entlassen wurden, kommentierte Maria Carla: „Beim Prozeß erster Instanz habe ich alle Frauen Italiens, die Gewalt erleiden, aufgefordert, wie ich vor Gericht zu ziehen und den Prozeß durchzustehen, um endlich diese Kultur der Vergewaltigung zu durchbrechen. Heute bereue ich dies und rate niemandem mehr, auf den Schutz durch diese Gesellschaft zu vertrauen.“
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