Spanien steht vor dem Generalstreik ...

Für den 14.Dezember haben zum ersten Mal sozialistische und kommunistische Gewerkschaften gemeinsam zum Generalstreik aufgerufen / Nach zwei Jahren der „Vernunft“ gehen die Gewerkschaften auf Konfrontationskurs: der Boom soll den Sozialstaat finanzieren  ■  Aus Madrid Antje Vogel

Winterliche Kälte ist über das Land hereingebrochen, und seit einigen Tagen zieren Weihnachtssterne aus Glühbirnen die Madrider Einkaufsstraßen. Doch Spanien steht ein verspäteter - heißer Herbst bevor, und die Vorweihnachtszeit verspricht wenig Beschaulichkeit. Ihre Geduld sei erschöpft, haben vor zwei Wochen die beiden großen Gewerkschaften, die sozialistische „Allgemeine Arbeiterunion“ UGt und die kommunistischen „Arbeiterkommissionen“ CCOO erklärt und für den 14.Dezember gemeinsam zu einem Generalstreik aufgerufen. Seither ist Leben in in die politsche Landschaft gekommen. Die sozialistische Regierung, empört über den „Verrat“ ihrer Gewerkschaft, schickt ihre Jockel in alle Lande, um den Massen allgemein und den Parteiangehörigen im Besonderen die Verantwortungslosigkeit und Irrationalität des geplanten Streiks klarzumachen, während die Gewerkschaften ihrerseits, mal getrennt, mal gemeinsam, schon im Vorfeld kleinere Mobilisierungen durchführen, zum Üben sozusagen.

Die Beunruhigung der Sozialisten ist berechtigt: Es ist der erste Generalstreik seit ihrer Regierungsübernahme und das erste Mal seit den monatelangen Streiks im Unterrichtswesen vor zwei Jahren, daß UGT und CCOO gemeinsam zur Mobilisierung aufrufen. Anlaß ist vor allem ein Gesetz zur Jugendarbeitsförderung, das Ende Oktober vom Ministerrat angenommen worden ist. Das Gesetz, das den 800.000 Jugendlichen unter 25 Jahren zugute kommen soll, die noch nie einen Arbeitsplatz gehabt haben, sieht vor, daß Unternehmer für 18 Monate Jugendliche einstellen können, ohne Sozialabgaben für sie bezahlen zu müssen, und das zum Mindestlohn von etwa 600 Mark pro Monat. Die Gewerkschaften sehen in dem Gesetz eine einseitige Bevorteilung der Unternehmer. Sie befürchten, daß feste Angestellte entlassen und durch billige Jugenliche ersetzt werden, daß allgemein die Tendenz weg von festen Arbeitsverträgen - hin zu Teilzeitverträgen weiter wachsen wird. Sie kritisieren darüber hinaus, daß anders als bei Ausbildungsverträgen wie etwa in der BRD die Arbeitnehmer nicht zu einer beruflichen Ausbildung der Jugendlichen verpflichtet werden.

„Vernunft“ ohne Ende?

Der Jugendarbeitsförderungsplan war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Lange haben die Gewerkschaften stillgehalten, als es darum ging, Spaniens Wirtschaft zu modernisieren, und sie sich mit geringen Lohnerhöhungen und Massenentlassungen - vor allem im Stahlbereich - abfinden mußten. Als deutlichstes Zeichen für die Bereitschaft der Gewerkschaften, dem Land aus der postfrankistischen Wirtschaftskrise herauszuhelfen, gilt immer noch der „Pakt der Moncloa“ vom Ende 1977, in dem die Gewerkschaften unter anderem zu einer Begrenzung der Lohnerhöhung verpflichtet wurden.

Unterdessen hat sich Spanien jedoch wirtschaftlich erholt mit kräftiger Beteiligung der regierenden Sozialisten. Neuesten Zahlen zufolge haben sich die Gewinne der spanischen Unternehmen 1987 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Die Handelsbilanz mit der EG, dem Haupthandelspartner, ist positiv, und die Exporte steigen weiter. Demgegenüber steht eine Wirtschaftspolitik der Regierung, die weiterhin auf Unterstützung der Unternehmen und auf den freien Markt setzt statt auf den Ausbau des sozialen Netzes.

Ein Dilemma stellt die Politik vor allem für die sozialistische UGT dar. Ihr Generalsekretär, Nicolas Redondo, ist der politische Ziehvater des heutigen Präsidenten Felipe Gonzalez und wirft seinem Zögling vor, sich von seinen natürlichen Verbündeten entfernt zu haben. Im März 1987 hatte Gonzalez die Gewerkschaften aufgerufen, die Demonstrationen der Schüler und Lehrer zu kontrollieren, und im Herbst hatte Redondo eine erste Konsequenz aus dem Dissens mit der Regierung gezogen: er hatte sein Amt als Abgeordneter der PSOE niedergelegt. Gemeinsame Tarifrunden zwischen Gewerkschaften, Unternehmensverband und Regierung sind seither regelmäßig gescheitert; lediglich im Bereich des Schulwesens gelang dem Erziehungsminister Javier Solapa vor kurzem eine Absprache mit allen Gewerkschaften.

Die UGT betreibe das Spiel der Kommunisten, wird der Gewerkschaft unterdessen von Parteiseite vorgeworfen. Die sozialistischen Gewerkschafter bestreiten das. Es gehe ihnen nur darum, die Regierung zu einer Änderung ihrer Wirtschaftspolitik zu bewegen, versichern sie. Dennoch ist eine Radikalisierung in ihren Reihen nicht von der Hand zu weisen. Zwar sind sie nach dem Tod Francos praktisch aus dem Nichts zu einer Gewerkschaft mit 760.000 Mitgliedern geworden und überflügelten bei den letzten Gewerkschaftswahlen vor zwei Jahren sogar leicht die traditionell stärkere CCOO, dennoch folgt Spanien der Entwicklung in anderen westeuropäischen Ländern: Die Bereitschaft, sich gewerkschaftlich zu organisieren - in Spanien ohnehin nicht sonderlich ausgeprägt (wohlmeinende Schätzungen belaufen sich auf etwa 19 Prozent der Arbeiterschaft) - nimmt ab. Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen für eine Radikalisierung der Arbeiter: Im Juli erhielt die anarchistische Winzgewerkschaft CNT bei Gewerkschaftswahlen von SEAT in Katalonien die relativ höchste Anzahl von Vertretern, und in einzelnen Bereichen formen sich langsam Basiskomitees nach italienischem Vorbild (s. nebenstehender Artikel), die nicht mehr bereit sind, die Kosten für den Wirtschaftsaufschwung Spaniens zu tragen. In der Klemme zwischen einer Regierung einerseits, die zu Kompromissen nicht bereit ist und sich darauf verläßt, daß es weit und breit keine Alternative gibt, und einer zunehmend unzufriedenen Arbeiterschaft andererseit, die nicht mehr um einer niedrigen Inflationsrate willen Kaufkrafteinbußen hinnehmen will, hat sich die UGT nun zum Handeln entschlossen.

Unerwarteten Beistand erhalten die Gewerkschaften von den rechten Parteien, die auf dem Protest gegen die Sozialisten ihr Süppchen kochen wollen: Der Streik wird zu einer Niederlage, verkünden die regierenden Sozialisten und hoffen, daß in diesem Fall die Ära Redondo und mit ihr ein traditionelles Gewerkschaftsbewußtsein zu Ende geht. Doch der Effekt scheint gegenteilig: Die Gewerkschaft, lange in „Felipisten“ und „Redondisten“ geteilt, bietet wieder ein Bild der Einmütigkeit. Statt dessen kracht es in den Reihen der Sozialisten: Der linke Flügel der Partei, hat seine Sympathie für den Streik bekundet, täglich brechen weitere Mitglieder aus der Parteidisziplin aus. Einfach hat es dagegen die Kommunistische Partei PCE. Sie unterstützte den Generalstreik, erklärte sie. Punktum.