: ANKÜNDIGUNG DES BELANGLOSEN
■ Der Alfred Kubin Tanz- und Musiktheaterzyklus der Werkstatt Liondo, Teil III
Auf dem Programmzettel des Theaters Spielraum steht unter der Ankündigung der Werkstatt Liondo „Wahn und Weltwahrheit“: „Diese Arbeit ist einem Künstler gewidmet, welcher, im Werke gegen seine Zeit stehend, sich in keiner Weise dem wie auch immer gearteten Zeitgeist unterwerfend, die Zeichen der Zeit schärfer erkannt hat als jeder modisch kokettierende 'Zeitgeistkünstler'“. Hoppla!
Solche Worte auf dem Spielplan eines Off-Theaters lassen die Haare senkrecht stehen, zumal wenn das, was da geschrieben steht, so nicht stimmt. In Kubins Bildern lassen sich jede Menge „modischer“ Einflüsse finden, im Frühwerk der Symbolismus und ein paar kecke Jugendstillinien, später ein bißchen Kubismus, ein bißchen Großstadtthematik, und auch der Expressionismus hinterließ seine Spuren. Kubin war zwar nie ein dem „Zeitgeist Unterworfener“, sofern man sich überhaupt dem „Zeitgeist unterwerfen“ kann, aber er experimentierte mit den Stilen, oder, böse gesagt, „kokettierte“ mit ihnen. Immer wieder stellte er Übermacht und Unterordnung, Krieg, Tod und „die Nachtseiten des Lebens“ dar. In seinem Roman „Die andere Seite“ flieht er vor der als Bedrohung empfundenen Technik ins Mythische. In einem Brief an Ernst Jünger, den er einmal gebeten hatte, ihm ein Exemplar seiner „Stahlgewitter“ zu widmen, schrieb Kubin: „Ich ahne aber vollkommen, was Sie mit dem Untergang des Individuums sagen und meinen - der Todesgedanke, so oft von mir symbolisch dargestellt, hat ja im Grunde irgendwo etwas Jauchzend-Befreiendes“. Kubin stand keineswegs „gegen seine Zeit“.
Am 18.3. 1933 schrieb Kubin an Hanne Koeppel: “... ich weiß nicht, wie der neue politische Curs da 'am Kunsthandel‘ etwas besser machen soll - ich verstehe nichts von moderner Politik, aber alles ist mir lieber als ein radikaler Bolschewismus ... Ja wie sich die äußeren Verhältnisse noch machen werden, liebstes Zöpfchen-Schnäuzchen? Das ist ein Druck und Gegendruck, und das gesellschaftliche Leben wird weitergehen, und viel besser wird es für uns nicht werden. Aber diese übertriebenen Maßnahmen mit 'Schutzhaft‘ etc. sind doch nur Übergangsmaßnahmen. Schließlich liegt ja gar nicht einmal so wesentliches an diesen Verhältnissen. Die subjektiven intimst persönlichen Erleb- und Erleidnisse sind x-mal wichtiger...“ 1935 hat der in Österreich lebende Künstler begriffen, was in Deutschland vor sich ging und entzog sich nach 1938 der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten. 1941 schrieb Kubin an Steinhart: „Ich will heute nicht jammern, die grenzenlose Abscheulichkeit der Epoche nicht berühren. Es regen sich die Blümchen, die Bienen, Fliegen, Schmetterlinge, Vögel...“ Eine Zeit der poetischen Versenkung folgte, erst nach 1945 fand sich die Thematik des Zeitgeschichtlichen in seinen Werken wieder. „Scharf“ ist daran nichts.
In dem sechsteiligen Versuch der Werkstatt Liondo, Kubins Werk „durch die Ausdrucksmittel Tanz, Musik und Licht umzusetzen“, findet sich von alledem nichts. Kubin wird auf die „Nachtseite des Lebens“ reduziert. Auf der Bühne sitzen zwischen furchtbar schlecht gemalten Riesenköpfen eine junge Dame und „der Betrachter“, ein verschreckter junger Mann, das Menschenkind schlechthin, in einem jener Cafes, die Kubin so abstoßend fand. Der Kellner bringt die Speisekarte, der junge Mann erkennt auf ihr in einem Bild Kubins sich selbst und stürzt eins, zwei, drei in den Wahn. Szene um Szene um Szene traktieren ihn nun die Dämonen, locken ihn mit einem Apfel, den - wer hätte das gedacht! - er natürlich nicht bekommt, und eine Yucca-Palme bekundet lauthals ihren Hunger. Ein anderes Mal liegen die Dämonen in Kissenbezüge gewandet kreuzweise auf dem Boden, richten sich mit „ooo“, „uuu“, „aaa“, „eee“ auf, wackeln hintereinander wie die Orgelpfeifen aufgereiht mit den Armen - gar Anspielung auf Kubins Flirt mit dem Buddhismus? - und bei „iii“ erneuter Hexentanz: mysteriös die Arme bewegt, die hennaroten Haare geschüttelt, das Bein geschmissen und hochgehüpft und am liebsten noch Glöckchen am Röckchen.
Sijak in der Rolle des armen Menschenkindes hält die Tortur anderthalb Stunden lang aus. Er kann nicht fassen, was ihm da geschieht und setzt sich nicht zur Wehr, wie Kubins Menschlein auf Rollen, das hilflos die Kurve des Schicksals ins Nichts hinunterdonnert. Angst, Entsetzen und auch kurze Freude bewegen sein Gesicht, dann fällt er wieder in einen Wahnanfall, zittert am ganzen Leibe, wälzt sich auf der Erde, stöhnt und keucht. Endlich, endlich kommt die „Läuterung“ - Menschenkind wird verkehrtherum aufgeknüpft und findet sich danach im Cafe. Unklar bleibt, ob ein neuer Traum beginnt.
Unklar bleibt, was der ganze Alptraum soll. Auf einem anderen Programmzettel zur gleichen Aufführung wird Aristoteles bemüht: „Die Kunst ist dazu geschaffen, den verborgenen Sinn der Dinge darzustellen.“ Immerhin, das ist neu, daß Ensembles jetzt Wunschzettel schreiben.
Claudia Wahjudi
Wahn und Weltwahrheit, Zweiter Teil des Alfred Kubin Zyklus. Theater Spielraum, noch bis zum 27.11., jeweils um 22 Uhr.
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