Schwarzgeldklinik zur „Offenen Hand“

■ Die Bestechungsaffäre um das Bremer Krankenhaus St.Jürgens hat sich zum größten Korruptionsskandal des Bundeslandes in der Nachkriegszeit entwickelt: Die Bereicherungen des Klinik-Chefs Galla werden nun auch zur politischen Sprengmine für den SPD-Senat

Angefangen hat es eigentlich mit einer Überschrift in der Bremer Lokalausgabe der taz: „Warum Galla wirklich ging“ stand am 23. Januar 1988 über fünf Zeitungsspalten auf der Seite 25. Ganz glücklich war die Überschrift damals vielleicht nicht gewählt: Nur Insider des Bremer Gesundheitswesens wußten damals, wer und was Aribert Galla war: SPD-Mitglied, zwölf Jahre lang Verwaltungsdirektor in der größten Bremer Klinik, dem „Zentralkrankenhaus St. Jürgen-Straße“, und nun im rüstigen Alter von 49 Jahren Frühpensionär - angeblich aus „gesundheitlichen Gründen“ vorzeitig in den Ruhestand geschickt.

Inzwischen kann Gallas Popularität in Bremen sich durchaus mit der eines Rudi Völler, eines Otto Rehhagel oder - um in medizinischen Bereichen zu bleiben - eines Schwarzwaldprofessors Brinkmann messen. Und gehen mußten wg. Galla inzwischen auch ehedem prominentere Bremer als Galla: In der letzten Woche erklärte Bremens SPD-Vorsitzender Herbert Brückner, als ehemaliger Gesundheitssenator ein Jahrzehnt lang Gallas oberster Dienstherr, seinen Rücktritt. Noch am gleichen Tag trat auch Brückners ehemaliger Stellvertreter und Senatsdirektor Hans Helmut Euler zurück. Euler hatte es zwischenzeitlich immerhin zum Chef der Bremer Senatskanzlei und damit zum oberstem Berater von Bremens Bürgermeister Klaus Wedemeier gebracht. Spätestens seit vergangener Woche steht Wedemeier selbst im Schußfeld: FDP und Grüne fordern seinen Rücktritt; die Bremer CDU will nicht zuletzt wegen der Krankenhausaffären - sogar Neuwahlen durchsetzen.

Fast ein Jahr nach dem taz- Bericht über Unregelmäßigkeiten im Beschaffungswesen des St.- Jürgen-Krankenhauses haben sich die Ungereimtheiten von damals zum größten Korruptionsskandal in der Bremer Nachkriegsgeschichte ausgewachsen. Der Fall beschäftigt seit Monaten eine Sonderkommission der Staatsanwaltschaft und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der im Laufe eines halben Jahres bereits weit über 100 Zeugen anhörte. Und ein Ende der Untersuchungen ist nicht abzusehen.

Über Jahre hinaus gaben sich in der 1.500-Betten-Klinik mit einem Jahresetat von 200 Millionen Mark die Pharmavertreter, Baulöwen, Außendienstmitarbeiter von medizinischen Geräteherstellern die Türklinke in die Hand und tauschten beim Oberstleutnant der Reserve und Volkswirt Aribert Galla Aufträge gegen Schmiergelder und Schecks. Diese landeten entweder in schwarzen Kassen der Klinik oder direkt auf den Konten obskurer Briefkastenfirmen im weiteren Bekannten-und Verwandtenkreis des Verwaltungs- Chefs. Einer von Gallas Geschäftspartnern ist zum Beispiel der Hannoveraner Computerhändler Gerd Schröder. Für eine runde Viertelmillion verkaufte Schröder dem Krankenhaus binnen eines Jahres Personal-Computer inclusive spezieller Computerprogramme der Schröder-Firma „Hospidata“ zur Verwaltung von Patientendaten. Blieb die Frage, wie die Papierstapel von Patientenakten auf computerverständliche Disketten zu übertragen seien. Für 13.000 Mark übernahm Schröder den Auftrag und übertrug ihn einer Fremdfirma im bremennahen Beverstedt namens „System-Service“. Inhaberin der System -Service Gmb H: Ursula Galla, Gattin des Klinik -Verwaltungsdirektors.

Daß Galla neben fünfstelligen DM-Beträgen durchaus auch für Kleingeld empfänglich war, belegt ein Geschäft, das Schröder quasi en passent miterledigte: Die Schulbücher für seinen Sprößling kaufte der Hannoveraner Unternehmer bei der Beverstedter Buchhandlung „A - Z“, Inhaberin Ursula Galla. Etwa notwendige Dienstreisen buchte Schröder in einem gleichnamigen Reisebüro, Inhaberin ebenfalls: Ursula Galla.

Nach ähnlichen Prinzipien wickelte z. B. Der Bremer Pharmavertreter Karl Wenkel seine Geschäfte mit der St. -Jürgen-Klinik ab. Als der langjährige „Außendienstrepräsentant“ einer der größten Europäischen Pharmaunternehmen, der Oberurseler Fresenius AG, im vergangenen Jahr den Schritt in die Selbständigkeit und zum eigenen Unternehmen plante, fehlten ihm weder Findigkeit noch Beziehungen. Was Wenkel fehlte, war Kapital. Tausendsassa Wenkel brachte das Kunstsstück fertig, der Klinik gegen Vorkasse Desinfektionsmittel von zweifelhafter Wirksamkeit und ohne jeden Zulassungsnachweis im Wert von 120.000 Mark und im Namen seiner noch gar nicht existierenden Firma zu verkaufen. Das gleiche Spiel wiederholte Wenkel, als er kaum ein halbes Jahr später seine Firma verließ, um unter dem Namen „Scarapharm“ eine zweiten Desinfektionsmittel-Vertrieb zu eröffnen. Mögliche Lösung des Rätsels: In einem Panzerschrank der Klinik fand sich ein rundes Dutzend Schecks über eine Gesamtsumme von über 50.000 Mark, überreicht von Karl Wenkel und - ohne entsprechende Buchungsvermerke - in einem Briefumschlag gesammelt. Die im Formular eingetragenen Empfänger versicherten vor dem Untersuchungsauschuß glaubwürdig, die Schecks weder je gesehen noch gar in den Genuß der ausgewiesenen Summen gelangt zu sein. Die von Wenkel verkauften Desinfektionsmittel lagern bis heute ungenutzt in den Krankenhauskellern.

Wesentlich komplizierter funktionierte dagegen der schwunghafte Handel der Klinik mit Blutplasma. Die Abnehmerfirma zahlte nicht direkt an eine von Gallas Scheinfirmen oder in eine graue Krankenhauskasse, sondern eröffnete stattdessen Kundenkonten bei Lieferanten von medizinischen Geräten. Für die eingehenden Gutschriften durfte dann nicht nur das Krankenhaus seinen Gerätepark erweitern, auch die Buchhandlung der Galla-Gattin Ursula liquidierte von und für „A - Z“.

Ex-Gesundheitssentor Brückner will von solchen kriminellen Machenschaften das Galla-Clans bis zu seinem Austieg aus dem Bremer Senat nichts bemerkt haben. Und auch sein Nachfolger, Bremens stellvertretender Bürgermeister Henning Scherf, will Galla nur wegen „erwiesener Unfähigkeit“, nicht aber wegen höchst wahrscheinlicher Korruption zum Jahreswechsel 87/88 in den vorzeitigen Ruhestand geschickt haben. Beide werden ihre Version noch in diesem Jahr vor dem Untersuchungsausschuß belegen müssen. Zumindest Brückner dürfte dann in größte Schwierigkeiten geraten. Aus Mitarbeiterkreisen war er mehrfach schriftlich über mögliche Verfehlungen an der Krankenhausspitze informiert worden. Zur Aufklärung verwies Brückner alle Beschwerden „auf den Dienstweg“, direkt an - Aribert Galla.

Klaus Schloesser