„Die Leiter hoch, die Füße in die Sprossen“

„Sperrige Güter“ stören St.Ingberts Burgfrieden mit einer Adaption des Horst-Wessel-Liedes / Sportlerehrung mit Feuerwehrkapelle bringt SPD-Bürgermeister in die Bredouille / Die Kriminalpolizei soll jetzt Licht ins braune Dunkel bringen  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

St.Ingbert ist ein Städtchen mit rund 40.000 EinwohnerInnen und liegt knapp 20 Kilometer westlich von Saarbrücken. Nach der Sommerolympiade im fernen südkoreanischen Seoul waren die Stadtväter heuer recht stolz auf ihren Ort. Hatte er doch einen - immerhin - Olympiasiebten im Schießsport hervorgebracht und außerdem einen Goldmedaillengewinner der nachfolgenden Behinderten-Olympiade im Tischtennis.

Da kam dem städtischen Bediensteten Albert Hartz die an sich ausgezeichnete Idee, die ausgezeichneten Söhne der Stadt mit einer Ehrung auszuzeichnen. Der Schützenverein und der Behindertensportverein waren schnell dabei, Sponsoren auch: das Autohaus Weiss und der Verein für Handel und Gewerbe. Die heimische Geschäftswelt ließ sich nicht lumpen. Zum Empfang mit anschließendem „gemütlichen Zusammensein“ spendierte sie Bier und Schnittchen. Für die Musik ließ sich die Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr kurzfristig bitten. Sie hört auf den launigen Namen „Sperrige Güter“ und wird in der Lokalpresse eine Juxkapelle genannt.

Am 8.November war es soweit. In der Gaststätte „Stolze Dicker“ nahm der Ehrenabend seinen - wie sich bald herausstellen sollte - verhängnisvollen Lauf. Erst fing alles ganz harmlos an, am Vorabend der bundesweiten 50-Jahr -Feiern zur Reichspogromnacht. Die Olympioniken wurden vorgestellt und gebührend geehrt. Richtig stolz waren die Honoratioren, die sich durch ihre Leistungssportler weltweit bekannt geworden wähnten. Die waren zum lokalen Ehrenfest direkt von einem Empfang bei Landesvater Oskar Lafontaine angereist.

Alles hätte sehr, sehr schön und feierlich sein können, wenn nicht diese Feuerwehrkapelle gewesen wäre. Die intonierte ihre Weisen zwar auch noch zu späterer Stunde, als die Feiernden zum „gemütlichen Teil“ übergingen. Doch dann spielte sie eine Melodie, die die einen vor Schreck erstarren, andere empört den Saal verlassen und nicht zu wenige Dritte lauthals und fröhlich mitschmettern ließ: Es erklang das Horst-Wessel-Lied. Lauter Gesang, Beifall und Rufe nach Zugabe begleiteten die Vorstellung.

Seither ist es vorbei mit dem Frieden im Städtchen. Die Grünen warfen Bürgermeister Brandenburg (SPD) vor, er wolle den Vorfall vertuschen und habe Zeugen zum Schweigen vergattert. Dieser ließ in einer Pressemitteilung wissen, er habe den Zeugen lediglich „zu bedenken gegeben, daß eine übermäßige Publizität der bedauerlichen Entgleisung“ die Veranstaltung ungebührlich aufwerte. Da er nicht selbst Augen- und Ohrenzeuge gewesen sei, sehe er sich außerstande, Stellung zu nehmen. Sollte aber tatsächlich die Partei-Hymne der NSDAP gesungen worden sein, verurteile er dies „mit aller Schärfe“.

Um das, was da nun gesungen worden ist, wird heftig gestritten. Die Freiwillige Feuerwehr ließ wissen, die Kapelle habe mitnichten das Horst-Wessel-Lied gespielt, sondern ein traditionsreiches „altes Feuerwehrlied“. Es habe keinesweg den Text: „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“, sondern gehe vielmehr so: „Die Leiter hoch, die Füße in die Sprossen...“. Die 'Saarbrücker Zeitung‘ berichtete über ihre Recherchen: „Über die Geburtsstunde dieses Liedes gibt es in Kreisen der Wehr unterschiedliche Aussagen. Einige Wehrmänner meinen, es sei in der Nachkriegszeit entstanden, andere erklären, es sei schon lange vor dem Krieg gesungen worden.“

Und dann stellten sich die wackeren Wehrmänner der Band „Sperrige Güter“ auf die Hinterfüße. Daß ihr Feuerwehrlied zufällig die Melodie des Horst-Wessel-Liedes habe, sei nicht ihre Schuld. Und schon gar nicht, daß Teilnehmer der Feier den ebenso falschen wie verbotenen Text dazu gesungen hätten. Sie habe es auch so laut gespielt, daß sie von dem Gesang rein gar nichts gehört habe. Zeugen berichteten unter der Hand, besonders laut gesungen und applaudiert habe der Haushaltswarenhändler und Vorsitzende des Vereins für Handel und Gewerbe, Meyer, der das Fest maßgeblich förderte und der als „heimlicher König von St. Ingbert“ gilt.

Daß das Lied in St. Ingbert schon bei anderen feucht -fröhlichen Veranstaltungen zu hören war, kam jetzt so nach und nach heraus. Da ist die Rede vom Ingobertus-Fest. Dort löste ein empörter Besucher das Problem drastisch. Er schüttete dem Trompeter sein Bier ins Instrument. Auch der Karnevalsverein „Frohsinnskrätzjer“ soll es bei einer Kappensitzung gesungen haben. Und die Wehrmänner schmettern es seit Jahr und Tag bei ihren Veranstaltungen.

Derzeit beschäftigt das Liedgut die Kriminalpolizei in Saarbrücken. Ein Stadtverordneter der SPD will im Gegensatz zu seinem Bürgermeister Licht in die inzwischen heftig brodelnde Gerüchteküche bringen. Er erstattete Anzeige gegen „Unbekannt“.