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Knast verdrängt Moabiter Restbezirk

■ Heißes Gefecht zwischen Justizverwaltung und räumungsbedrohten Mietern der Wilsnackerstraße in Alt-Moabit / Justiz beansprucht Komplex für eigenen Bedarf / Mieter fordern sofortige Rücknahme der Kündigungen / AL-Tiergarten wird Antrag in die BVV einbringen

Die öffentliche Mieterversammlung der gekündigten 60 Parteien des von der Justiz beanspruchten Komplexes Wilsnacker Straße/Alt Moabit diente am Donnerstag abend wie erwartet als Wahlkampfarena. Als Stiere fungierten der Staatssekretär im Justizsenat, von Stahl, und, so ein Mietersprecher, sein „Vollzugsbeamter“ im Tiergartener Rathaus, Finanzstadtrat Urban (CDU). Als Toreros waren Bezirksverordnete und Spitzenkandidaten sämtlicher Parteien im Gemeindesaal der St.Johannes-Gemeinde erschienen. Das Publikum: Knapp 200 Mieter und Tiergartener Bürger.

Wegen der akuten Raumnot der Justizbehörden, so von Stahl, „werde man die Kündigungen weiter betreiben“, aber keinen in die Obdachlosigkeit treiben. Doch zum Prüfen von Alternativen ist nach Auffassung eines Sprechers des Tiergartener Kiezbündnisses der Bezirk inzwischen verpflichtet: Im November hatte die BVV Tiergarten auf Antrag der AL einstimmig beschlossen, ein Bebauungsplanverfahren einzuleiten, das die „ernsthafte Prüfung von Alternativstandorten“ beinhaltet. Das mitgebrachte Ersatzwohnungsangebot des Finanzstadtrats zur Behebung der „Unterbringungssorgen“ bezeichneten die Mieter als „Lutschbonbon“, „Wahltaktik“ und „Beleidigung“. Sie hätten tadellose, billige Wohnungen und seien nicht bereit, in die vage in Aussicht gestellten Neubauwohnungen mit einem Quadratmeterpreis von ca. acht Mark kalt einzuziehen. Bei der herrschenden Wohnungsnot würde man zudem anderen den dringend benötigten Wohnraum wegnehmen. Als beispiellosen Zynismus bezeichneten die Mieter das Angebot des Justizstaatssekretärs, sie könnten ja klagen. Einige werden dennoch stellvertretend, so ihr Rechtsanwalt Ströbele, mit einer Feststellungsklage die Rechtmäßigkeit der Kündigungen überprüfen lassen.

Um seinem vor der BVV geäußerten Wort vom Tiergartener „Schulterschluß“ zugunsten der gekündigten Mieter Nachdruck zu verleihen, solle Urban die Kündigungen zurücknehmen, so die einhellige Meinung aller Diskutanten. Baustadrat Naujokat erklärte auf die Frage nach einer möglichen Abrißgenehmigung: „Ich gebe die nicht.“ „Mit nicht nur gespaltener Zunge“, sondern mit „völlig zerfasertem Lappen“ (AL-Verordnete Eisenberg) verließ Stadtrat Urban um 21.40 Uhr wutentbrannt die Mieterversammlung. Das Publikum formierte sich zwar nicht zu dem Ruf „der Stier ist tot“, jedoch zum Konsens: „Weg mit den Kündigungen.“ Am kommenden Donnerstag wird die BVV Tiergarten über einen entsprechenden AL-Antrag zu befinden haben.Gespannt darf man auf das Abstimmungsverhalten der CDU sein. Die Mieterinitiative „Wohnen contra Justizfestung“ veranstaltet am Sonntag ab 18.00 Uhr in der alten TU-Mensa ein Fest mit den Gruppen Pankow, Sprung aus den Wolken und zwei Tiergartener Bands. Solidaritätseintritt: acht Mark.

taz

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