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Rücksichtsvoll zum Frauenwahlrecht

■ Zum 70jährigen Jubiläum: Im Kampf um das Stimmrecht war die Frauenbewegung halbherzig und zerstritten / Die meisten Kämpferinnen für das Wahlrecht stimmten 1914 ins Kriegsgeschrei ein / Frauen wählten überwiegend konservativ und rechts

Heide Soltau

Die Geschichte des Frauenwahlrechts in Deutschland gehört nicht gerade zu den Ruhmeskapiteln frauenbewegter Vergangenheit. Es ist vielmehr eine Geschichte der Halbherzigkeiten und Kompromisse, eine Geschichte, die sich für Jubelfeiern wenig eignet. Bei genauerem Hinsehen nämlich wird deutlich, wie groß die Ängste der meisten Frauen waren, eigene Wege zu gehen und eigene Interessen in die Hand zu nehmen - unabhängig von den Männern. Spät, sehr spät haben sich unsere Schwestern von gestern dazu durchringen können, für ihre politischen Bürgerrechte offensiv einzutreten, bürgerlich Frauenbewegte ebenso wie Sozialdemokratinnen.

August Bebel, der heute so gern von den SozialdemokratInnen als Vater des Frauenwahlrechts reklamiert wird, stand lange Zeit auf recht einsamem Posten. Das wird gerne unterschlagen. In seinem 1879 erschienenen Buch Die Frau und der Sozialismus, das bald zu einem Bestseller seiner Zeit wurde, war Bebel klar und unmißverständlich für das Frauenwahlrecht eingetreten. Von der Forderung nach allgemeinem und gleichem Wahlrecht - das damals noch nicht einmal für alle Männer im Deutschen Reich existierte sollten Frauen nicht ausgeschlossen sein. Erst 1891 konnte sich Bebel damit in der Partei durchsetzen: Die SPD verankerte das Frauenwahlrecht in ihrem Erfurter Programm und brachte vier Jahre später sogar einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den Reichstag ein. Doch bis die Sozialdemokratinnen endlich Bebels Forderung aufgriffen und explizit für das Frauenwahlrecht warben, vergingen noch einige Jahre. Erst nach der Jahrhundertwende, mehr als 20 Jahre nach Bebels Frauenbuch, wurde der Kampf für das Frauenwahlrecht zu einem ihrer Arbeitsschwerpunkte. Aber auch das zunächst nur halbherzig. Fauler Kompromiß

Im Mittelpunkt sozialdemokratischer Agitation standen die Rechte der gesamten Arbeiterklasse. Diesen Leitgedanken der Partei vertraten zunächst auch die Genossinnen. Sie lehnten deshalb jeden Kampf um besondere Frauenrechte ab - ob es sich um Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen handelte oder um das Wahlrecht. Dazu paßte, daß die Sozialdemokratinnen auf der Frauenkonferenz in München 1902 zwar den Beschluß faßten, für das Frauenwahlrecht zu agitieren - was neu und ein Fortschritt war -, zugleich aber folgende Einschränkung machten: Das Frauenwahlrecht sollte nur dann im Zentrum des Aktionsprogramms stehen, „wenn dadurch die Erweiterung und Sicherung des politischen Rechts der Arbeiterklasse nicht gefährdet wird“. Lily Braun hat ihre Mitstreiterinnen für diesen - faulen - Kompromiß damals kritisiert, doch sie wurde nicht gehört.

Erst einige Jahre später, 1906 auf der Frauenkonferenz in Mannheim, war Klara Zetkin, die Führerin der proletarischen Frauenbewegung und Herausgeberin der Zeitschrift 'Die Gleichheit‘, zu einer Kursänderung bereit. Sie hatte inzwischen die Erfahrung gemacht, daß die Partei das Frauenwahlrecht zwar auf dem Papier oder im stillen Kämmerlein propagierte, die Genossen für die Durchsetzung des Rechts aber keinen Finger rührten. In dem Moment, wo die Frauen eine aktive Unterstützung verlangten und die Männer aufforderten, ihrerseits auf Versammlungen für das Frauenwahlrecht zu werben, zogen die meisten den Schwanz ein. Die Sozialdemokraten waren da keinen Deut besser als die Männer anderer Parteien.

Die Mannheimer Frauenkonferenz 1906 brachte die Wende - und war der erste Schritt zur Spaltung der proletarischen Frauenbewegung. Die Frauen verabschiedeten eine Resolution, die eine Rücksichtnahme auf die Partei nicht mehr vorsah: Sie nahmen sich vor, in Zukunft uneingeschränkt für das Frauenwahlrecht zu agitieren. Die Resolution wurde nicht einstimmig angenommen. Die Genossinnen des reformistischen Flügels votierten dagegen. Sie waren bereit, die Forderung nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Frauenwahlrecht aufzugeben zugunsten eines schrittweisen Vorgehens. Männer sollten das aktive und passive Wahlrecht erhalten, darüber bestand kein Zweifel, Frauen dagegen sollten sich ihrer Meinung nach zunächst ruhig mit dem Kommunalwahlrecht begnügen. Begründet wurde das mit dem „spezifischen weiblichen Naturell“. Der „Frauenpsyche“ entspreche eher die Kommunalpolitik. Rücksicht auf Konventionen

Die SPD war zwar die erste Partei, die die Forderung nach dem Frauenwahlrecht in ihr Parteiprogramm aufgenommen hatte, und dies geschah auf Initiative von August Bebel, aber er war nicht der erste, der sich dafür starkgemacht hatte. Vor ihm gab es Frauen, die sich für das Wahlrecht ausgesprochen hatten. Jedoch mangelte es ihnen dabei an Offenheit und Klarheit. Luise Dittmar, Mathilde Franziska Anneke und Luise Otto forderten schon während der '48er Revolution Freiheit für die Bürgerinnen - was die politischen Rechte der Frauen ebenso beinhaltete wie den Ruf nach Bildung und Ausbildung -, das Motto der 'Frauen-Zeitung‘ Luise Ottos lautete nicht zufällig: „Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerinnen.“ Luise Otto, deren Gefolgschaft groß war und die ihre Zeitung immerhin vier Jahre lang, von 1849 bis 1852, herausbringen konnte, war im Prinzip für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen „in politischen Angelegenheiten“ und „für das allgemeine Stimmrecht“, das hat sie ausdrücklich hervorgehoben. Aber eben nur im Prinzip. „Dafür wirken zu wollen, wäre noch zu früh“, schrieb sie 1869, 20 Jahre nach Erscheinen der 'Frauen-Zeitung‘. Ähnlich äußerte sich Jenny Hirsch. Sie war Vorstandsmitglied im Lette-Verein - neben dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF), dem Luise Otto nach seiner Gründung 1865 vorstand, zweites Standbein der bürgerlichen Frauenbewegung. Für Jenny Hirsch war das Frauenstimmrecht „die Krönung“, der Lohn für Mühe, Arbeit und treue Pflichterfüllung. Doch zunächst mußten die Frauen auf ihre staatsbürgerlichen Pflichten vorbereitet werden, und mit dieser Meinung standen Luise Otto und Jenny Hirsch nicht allein. Erst erziehen, dann wählen

Auch Helene Lange wollte die Frauen erst bilden und erziehen und dann wählen lassen. Es hätten die „geschichtlichen Vorbedingungen“ gefehlt, „die organisatorische Verbindung zwischen dem traditionellen Wirkenskreis der Frau und jenen öffentlich-rechtlichen Funktionen“, so erläuterte Helene Lange ihre Position, die ihren Schwestern nicht viel zutraute. „Wie war es denkbar, daß ihr Auge, nur gewöhnt, in die Nähe zu sehen, die Dimensionen des politischen Horizonts richtig abschätzte?“ Erst 50 Jahre nach Beginn der organisierten bürgerlichen Frauenbewegung hielt Helene Lange die Geschlechtsgenossinnen reif für den Gang zur Wahlurne. 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, sprach sie sich schließlich ohne Einschränkungen für das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht aus - die Konsequenzen dieser Strategie sollten sich erst in der Weimarer Republik zeigen, als die Frauen konservativen und rechten Parteien ihre Stimme gaben.

Bürgerliche und Sozialdemokratinnen gingen also recht zögerlich mit der Forderung nach dem Frauenwahlrecht um. Ihre Vorsichtigkeit mag zum einen mit dem preußischen Vereinsgesetz zu tun gehabt haben, das Frauen, Schülern und Lehrlingen die politische Betätigung verbot. Hinzu kamen taktische Gesichtspunkte. Die Öffentlichkeit hatte nicht gerade begeistert reagiert, als die Frauen nach der '48er Revolution mit der Gründung von Vereinen und Zeitungen von sich reden machten. Derlei Aktivitäten paßten nicht in das Bild der züchtigen, gehorsamen Hausfrau, und so gingen die Aktiven eher behutsam vor, um die aufgeschreckte Öffentlichkeit langsam von den Vorteilen weiblicher Emanzipation zu überzeugen. Die einzige, die keinerlei Rücksicht auf Konventionen nahm, war Hedwig Dohm. Frauen „fordern Gerechtigkeit“, schrieb die 1831 geborene unerschrockene Denkerin klar und unmißverständlich 1876. Sie „verlangen Stimmrecht, weil jede Klasse, die am politischen Leben unbeteiligt ist, unterdrückt wird“. Hedwig Dohm schlug schon damals die Bildung von Stimmrechtsvereinen vor und war der Ansicht, daß nur radikale Forderungen die Sache der Frauen voranbringen könnten - sie blieb eine Einzelkämpferin. Endlich eine

Stimmrechtsbewegung

Erst 25 Jahre später nahmen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann diesen Gedanken wieder auf und gründeten am 1.Januar 1902 den „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht“. Um das preußische Vereinsrecht zu umgehen, wählten die beiden dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung angehörenden Frauen Hamburg als Sitz des Vereins. Mit Vorträgen, Flugblättern, Zeitschriften und Broschüren warben sie für das Wahlrecht und waren äußerst erfolgreich, wie Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg in ihren Erinnerungen schreiben. Bald darauf wurden auch in anderen Städten Stimmrechtsvereine gegründet. Doch die Einigkeit währte nicht lange.

Aus anderer Sicht stellte sich das so dar: „Diese Vereinigung (war) noch sehr unpopulär, zählte nur wenige Mitglieder und hatte viele und heftige Gegner“, berichtete die jüdische Arztin Rahel Straus, die sich 1905 dem Münchner Stimmrechtsverein anschloß. „Dem entsprach aber auch die Art und das Auftreten der Frauen, die an ihrer Spitze standen“, schreibt sie weiter, „sie kleideten sich, besonders Anita Augspurg, wie der Witzblattyp der emanzipierten Frau... Sie waren, das ist zuzugeben, fanatisch in ihrem Auftreten und in ihren Forderungen.“ Dennoch schätzte Rahel Straus die beiden radikalen Kämpferinnen, die zu keinerlei Kompromiß bereit waren, was auch dazu führte, daß die Stimmrechtsbewegung bald in drei verschiedene Fraktionen zerfiel.

Die einen forderten für Frauen nur das für Männer gültige Stimmrecht (die noch nicht alle das allgemeine und gleiche Wahlrecht hatten). Die anderen verlangten allgemeines, gleiches, direktes und geheimes aktives und passives Wahlrecht für beide Geschlechter, und die Dritten setzten sich nur für das allgemeine und gleiche Frauenwahlrecht ein und überließen es den Männern, selbst für ihre Rechte zu kämpfen. 1913 traten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann aus dem von ihnen gegründeten Verein, aus dem inzwischen ein ganzer Verband geworden war, wieder aus und schlossen sich mit einigen wenigen Radikalen zu einer neuen Gruppe zusammen: dem „Deutschen Stimmrechtsbund“. Die Mitglieder dieses Bundes und die Gruppe um Klara Zetkin, die später der USPD beitrat, waren die einzigen, die nicht in das allgemeine Kriegsgeschrei einstimmten und dem Land dabei jegliche Unterstützung verweigerten. Während sie sich für Frieden und Freiheit engagierte, opferte sich die überwältigende Mehrheit der Frauen an der Heimatfront auf. Der „Verband für Frauenstimmrecht“ zum Beispiel gab sein ganzes Vermögen für Wolle aus und ließ seine Mitglieder Strümpfe für die „Schützen des Vaterlandes“ stricken. Anpassung

auch mit dem Wahlrecht

Im November 1918 hatte die Stimmrechtsbewegung dann ihr Ziel erreicht: Mit der Gründung der Weimarer Republik erhielten „alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen“ das aktive und passive Wahlrecht. Die Frauen wählten rechts und gaben den Parteien ihre Stimme, die sich noch wenige Jahre vorher gegen das Frauenstimmrecht ausgesprochen hatten: dem Zentrum und der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP). Ein Ergebnis, das nicht erstaunen kann. Die Mehrheit der frauenbewegten Aktiven hatte es versäumt, den Frauen Mut zu machen, ihre ureigenen Interessen zu vertreten. Bürgerliche und Sozialdemokraten waren stets Kompromisse eingegangen und hatten die Frauen in dem unterstützt, was sie immer schon taten: in der Rücksichtnahme auf andere, auf die Familie, die Öffentlichkeit oder die Partei. Als Klara Zetkin erkannte, daß es nicht reichte, auf die Gleichheit der Geschlechter zu setzen und sich der Parteiraison zu beugen, kam es zum Bruch mit der Mehrheit innerhalb der SPD. In der bürgerlichen Frauenbewegung geschah das Gleiche. Als die Radikalen konsequenter, ohne auf Männer und Mehrheiten zu schielen für ihr Rechte eintraten und nicht nur das Wahlrecht, sondern auch das Recht auf Liebe forderten, kam es zur Spaltung in Gemäßigte und Radikale. Es ist kein Zufall, daß es diese inzwischen widerspruchsgeübten Frauen waren, die Gruppe um Klara Zetkin und die radikalen Bürgerinnen, die auch jetzt Nein sagten und dem kriegsführenden Deutschen Reich ihre Solidarität verweigerten.

Frauen wählen konservativ, das war so bis 1968. Seitdem ist der Trend vor allem bei jüngeren Frauen (aber nicht nur bei diesen!) leicht rückläufig, wie Joachim Hofmann-Göttig in einer Untersuchung zum Frauenwahlrecht festgestellt hat. Die CDU, die bis Ende der sechziger Jahre bevorzugte Partei der Frauen war, hat seitdem deutliche Verluste zu verzeichnen vor allem bei den Jüngeren. Es sieht dementsprechend so aus, als würde eine konsequente und radikale Frauenbewegung unter anderem für eine Politisierung sorgen, die eher dem linken, liberalen Parteien zugute kommt. Daraus ließe sich folgende These ableiten: Wenn Frauen der ersten Frauenbewegung den Mut gehabt hätten, Hedwig Dohms zu folgen und weniger Rücksicht auf Familie, Partei und Vaterland zu nehmen, dann hätte es in der Weimarer Zeit vielleicht keine so deutliche Präferenz der Frauen für die Bürgerlichen, Konservativen und Rechten gegeben, und dann wären die Frauen wohl auch nicht so schnell auf Hitlers antifeministische Politik hereingefallen.

70 Jahre Frauenwahlrecht heißt auch, 70 Jahre konservative Politik - und das ist nicht nur die Schuld der Männergesellschaft. Daran haben Frauen einen wesentlichen Anteil.

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