: Studentische Unruhe oder politische Perspektive?
Zum Zeitpunkt des 40.Geburtstages der Freien Universität Berlin demonstrieren die StudentInnen / Ein Vergleich mit der Revolte von 1968 ■ Von Ekkehart Krippendorff
Wenn das, was sich gegenwärtig an westdeutschen und Westberliner Hochschulen an Unzufriedenheit mit den Studienbedingungen Luft macht, nur studentische Unruhe ist oder bleibt, dann wird sie wieder vergehen, wie der derzeitige Schnee - vor allem an Gesamtdeutschlands größter Universität, der Freien Universität (FU) Berlin, wo die staatliche Bürokratie, für die wie überall die Wissenschaft nichts als eine administrative zu leitende Produktivkraft im Dienste bundesrepublikanischer kapitalistischer Konkurrenzfähigkeit ist, eine auf diesem Kurs willfährige Universitätsverwaltung mit ihrem Heckelmann-Gate-Präsidenten an der Spitze hat. Warum? Weil natürlich studentischer Protest einmal dort verebben wird, wo finanzielle Versprechungen gemacht und vielleicht zum Teil auch eingehalten werden, und zum anderen die Kultusbürokraten aufgrund der viel zitierten „Rechtslage“ am stärkeren Arm des Hebels sitzen, mit dem sie Institute zergliedern, Fachbereiche umstrukturieren, Lehrstühle mit genehmen Leuten besetzen oder streichen, in Studienordnungen eingreifen oder sie ablehnen undsoweiter. Dagegen ist studentischer Protest schon mittelfristig machtlos und professoraler, so es ihn gibt, defensiv und hilflos.
Es wurde in diesen Monaten viel über 1968 geredet und geschrieben. Auch damals war Unruhe unter den Studenten, wurde protestiert und öffentlich demonstriert - vor allem aber wurde perspektivisch kritisiert, und an solcher Kritik, an artikulierter Analyse von Ursachen und gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen scheint es heute weitgehend zu fehlen. Nur weil die Studenten damals in der Lage waren, ihre Kritik am „Muff von tausend Jahren“ zu erkennen als eine weiterführende Kritik am staatstreuen Dienstleistungscharakter einer Wissenschaft, die sich im Dritten Reich kompromitiert und weitgehend auch diskreditiert hatte und die an Repressions- und Ausbeutungsbeziehungen zur Dritten Welt (Vietnam-Krieg) aus eigener Betriebsblindheit wieder mitbeteiligt war, nur weil dadurch die historische Perspektive des Sozialismus wiederentdeckt und das Projekt „Kritische Universität“ denkmöglich wurde, gelang es, auch außerhalb der engen Mauern der Universität selbst gesellschaftliche Energien, politische, geistige und kulturelle Energien freizusetzen. Das relativ sehr Wenige, das dann in reformierte Universitäten einging (und inzwischen wieder zurück -reformiert wurde, weil die Kraft nicht ausgereicht hatte), war nur eben wegen jener politischen Perspektive möglich geworden. Die sozial-liberale Koalition war der unmittelbare Profiteur, die allerdings das große Potential wieder verspielte. Immerhin, es war etwas in Bewegung gekommen, es war kein Strohfeuer/Frust.
In der gegenwärtigen Unruhewelle liegt auch ein solches Potential, wenn es sich artikuliert, wenn wir alle mithelfen, es perspektivisch zu artikulieren. Denn das Erstaunliche - und Ermutigende - ist ja doch, wenn ich es richtig sehe, daß die Studenten zum ersten Mal seit langem wieder studieren wollen, auch wieder gerne studieren, lesen und lernen wollen, auch und obwohl, ja zum Teil geradezu weil es für die meisten von ihnen keine sichtbaren Berufsperspektiven gibt. Lust am lernen - und gerade das wird ihnen von den Kultusbürokraten und einem bornierten Teil der Professorenschaft verwehrt. Diese Bürokraten hassen im Grunde die Studenten (und sie hassen auch die ihnen gegenüber, wie sie meinen, priviligierten, besser bezahlten Professoren). Sie wollen Vorzeige-Wissenschaft, studenten -unabhängige, lehr-freie Institute („An-Institute“ nennen sie das), Stiftungsprofessuren aus der Wirtschaft, „Praxisnähe“ heißt das heute. In solch einem Klima feiert die FU Berlin nun ihren 40.Geburtstag und versucht, mit keinem Wort darauf einzugehen, obwohl gerade diese erste deutsche Nachkriegsgründung soviel einst ermutigenden Anlaß dazu gegeben hätte. Man sehe sich zum Beispiel an, wen der Präsident da als Festredner bestellt beziehungsweise eben nicht bestellt hat: keinen ihrer großen Gelehrten, ganz gleich aus welchem Fach, keinen, der die Geschichte dieser Universität verkörpert oder gelebt hat und aus ihr hervorgegangen ist, als Beispiel dafür, was Wissenschaft heute noch leisten kann und zu sagen hat, sondern jemand, der ins taktische Kalkül der Staatsbefriedung paßt und von dem man sicher sein kann, keine unbequemen kritischen Wahrheiten zu hören zu bekommen.
Der studentische Protest - und das resignierte Sich -Verweigern so vieler Hochschullehrer, da präsent zu sein zeigt an, daß die noch immer oder wieder lebendigen Elemente dieser Universität sich in dieser Jubliläums-Veranstaltung nicht wiedererkennen, hier nicht repräsentiert sind.
Ekkehart Krippendorff ist Professor an der Freien Universität Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen