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Wissenschaftler gegen Aufrüstung

Bundesweiter Kongreß von Naturwissenschaftlern fordert chemiewaffenfreie Zone in Europa, Atomteststopp und Einstellung des militärischen Großprojekts „Jäger-90-Projekts“  ■  Aus Tübingen Petra Seitz

Mit einer entschiedenen Absage an die als „Modernisierung“ verkaufte Nato-Aufrüstung ging der bundesweite Naturwissenschaftlerkongreß „Weiter abrüsten! - Friedliche Wege in die Zukunft“ am letzten Sonntag in Tübingen zu Ende.

In einer Abschlußerklärung forderten die über 2.000 TeilnehmerInnen außerdem eine chemiewaffenfreie Zone in Europa und den Abschluß einer C-Waffen-Konvention zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion sowie einen vertraglichen Atomtest-Stopp und die Einstellung des militärischen Großprojektes „Jäger 90“.

Gerade weil nach dem Abschluß des INF-Vertrags zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion „aus der Friedensbewegung ein bißchen die Luft raus“ ist, so die veranstaltende bundesweite Naturwissenschaftler-Initiative „Verantwortung für den Frieden“, müsse die geplante neue Aufrüstung der Nato ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt werden.

Aber auch wenn die Nato bereits jetzt das Mittelstreckenraketen-Abkommen durch Ausweichen auf andere Atomwaffen und Umsteigen auf chemische Massenvernichtungsmittel zu unterlaufen versuche, ist der INF-Vertrag, das war Konsens, wenigstens eine psychologische „Initialzündung für weitere Abrüstung.“

Weiterer Schwerpunkt des überraschend gut besuchten Kongresses war die besondere Verantwortung von Naturwissenschaftlern in friedenspolitischer Hinsicht und der „Frieden mit der Natur“ als zweite Existenzgrundlage künftiger Generationen.

Friedensnobelpreisträger Willy Brandt zeigte sich in der Auftaktveranstaltung vor rund 3.000 ZuhörerInnen enttäuscht über die Nato, weil sie „trotz der sehr zerbrechlichen Wende zum Besseren“ auf sowjetische Angebote nur „träge“ reagiere, statt „Asymmetrien“ abzubauen.

Dabei seien die militärischen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme weltweit nur in vertrauensvoller Zusammenarbeit lösbar. Deshalb dürfe auch das „Haus Europa“ keine Festung gegen den Osten sein. Auf konkrete Fragen nach sozialdemokratischen Konzepten und auf Vorwürfe, die SPD habe die „Nachrüstung“ doch erfunden, weigerte er sich jedoch einzugehen; am Ende wurde er ausgebuht.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Alfred Mechtersheimer warf der SPD vor, in „ganz ordinärer Großmachtpolitik“ die europäische Verfügungsgewalt über Atomwaffen anzustreben. Von einer „ganz großen Koalition“ in Bonn gewollt, formiere sich der ökonomische Riese Westeuropa mit der Achse Bonn -Paris und der Wiederbelebung der europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu einem gegen die Sowjetunion gerichteten „Vierten Reich“ unter westdeutscher Führung.

In einer Pressekonferenz am Rande der Veranstaltung meinte Mechtesheimer außerdem, daß berufsbezogene Trägergruppen wie die Naturwissenschaftler-Initiative in Zukunft besondere Verantwortung für die Friedensbewegung hätten, denn mit der Krise der Grünen „könne auch die Friedensidee leiden“.

Die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative ist ein Zusammenschluß lokaler Gruppen, die seit 1983 ihre Fachkompetenz in dei Friedensbewegung einzubringen versuchen.

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