„Die Entlassungen als Signal zu werten, wäre weltfremd“

Klaus Jünschke, begnadigter ehemaliger RAF-Gefangener, zur Entlassung von Manfred Grashof und den Perspektiven für andere RAF-Häftlinge  ■ I N T E R V I E W

taz: Klaus Jünschke, als du entlassen wurdest, wolltest du das nicht als Signal verstanden wissen, unter Verweis darauf, daß Manfred Grashof noch immer gefangengehalten wurde. Jetzt wird Grashof begnadigt. Ist da eine neue Qualität im Umgang mit Gefangenen aus der RAF sichtbar?

Klaus Jünschke: Jene, die die höchste Zeitstrafe von 15 Jahren hatten und die sich von der RAF getrennt haben, sind durchweg nach zehn Jahren entlassen worden. Die bekamen fünf Jahre geschenkt, ein Drittel ihrer Strafe. Wenn ein Lebenslänglicher im Durchschnitt in der Bundesrepublik 20 Jahre sitzt, dann war der Straf-Bereich um die 15 Jahre eigentlich zu erwarten für diejenigen, die von der RAF weg sind. Das hat sich bisher nur so nicht gestellt, weil es keine Lebenslänglichen aus der RAF gab, die so lange gefangen waren. Ich bin überzeugt, wenn vor fünf Jahren der erste Lebenslängliche angestanden hätte, und er wäre glaubhaft getrennt gewesen, dann wäre der auch rausgekommen. Es ist eben das, was gesetzlich gegeben ist. Ein CSU-Mann hat heute als Kommentar gesagt, 17 Jahre ist der Durchschnitt, das ist keine Bevorzugung. So ist es.

Wenn man die Begnadigung an einer Stimmung in einer Bevölkerung mißt, die „heiß“ gemacht wird, und bei der die Zahl der Todesstrafenbefürworter in die Höhe geht, dann kann man natürlich begeistert sein, daß einer nach 17 Jahren rauskommt. Aber wenn man wirklich eine Geste erwartet und gleichzeitig sieht, wie es denjenigen in den Zellen geht, die sich zur RAF bekennen, dann muß man völlig weltfremd sein, wenn man in den jetzigen Entlassungen ein Signal sieht.

Die Entlassungen von dir und Grashof sind damit begründet worden, daß ihr euch von der RAF losgesagt habt. Am längsten in Haft sitzt nun Irmgard Möller, die sich in keiner Weise distanziert hat. Siehst du in ihrem Fall Perspektiven?

Für jemanden, der lebenslänglich hat, und der für sich die individuelle Entlassung anstrebt, gibt es zwei Möglichkeiten: Ein Gnadenerweis des zuständigen Ministerpräsidenten, bei Irmgard Möller ist das Lothar Späth von Baden-Württemberg, weil sie vom Landgericht in Heidelberg verurteilt worden ist. Oder ein Antrag auf Entlassung bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer nach §57a StGB (Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe). In beiden Fällen müßte sie ein Gutachten über sich ergehen lassen. Wie sie dazu steht weiß ich nicht. Ich bin nicht derjenige, der zu sagen hat, wie sich Irmgard Möller zu verhalten hat.

Wie ich das mitkriege, gehört sie zu denjenigen Gefangenen aus der RAF, die für sich und ihre Freunde eine Regelung der Haftbedingungen in Form der Zusammenlegung hinkriegen möchten. Wenn dieser Staat Gefangenen aus der RAF nicht gleichberechtigten Normalvollzug ohne Wenn und Aber zugesteht, dann ist die Forderung der Gefangenen berechtigt, sie in einem oder zwei Gefängnissen zusammenzulegen, weil sie einen Anspruch darauf haben zu leben.

Nun kann man den Eindruck haben, daß es kleine Schritte auf diejenigen zu gibt, die sich von der RAF getrennt haben; andererseits werden diejenigen, die sich nicht getrennt haben, um so härter behandelt, wenn man etwa sieht, daß jetzt Roland Mayer nach seiner Entlassung eine Führungsaufsicht beschränkt auf einen einzigen Ort aufgebrummt kriegt, was es bisher so nicht gab.

Ähnliches gab es nur mal bei Albartus, aber diese Geschichte hat auch ihre Entsprechung bei der Verfolgung von Flugblattverteilern jetzt in Bayern, in den Prozessen in München oder in anderen Orten. Das ist eskaliert, so etwas gab es vor zehn Jahren nicht. Aber in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behandlung derjenigen, die sich von der RAF getrennt haben, darf man das nicht sehen. In den Apparaten selbst wird um eine bestimmte Strategie gekämpft. Es gibt da Leute, die versuchen wollen, ihr System, so wie es ist, mit relativ weichen Methoden zu reproduzieren. Und es gibt andere, die versuchen, ihr System mit Methoden durchzusetzen, wo jeder schreien möchte, der im Ansatz sieht, wo das wieder hinführt. Da geht es eben auch um Macht. Ich glaube schon, daß so jemand wie Bundesanwalt Rebmann ganz knallhart seine Macht, die ihm in den letzten Jahren zugewachsen ist, im Auge hat.

Das Hauptproblem ist eigentlich: In der Zeit, als ich bei der RAF war, wurde ich benutzt im Sinne der Aufrüstung zum Polizeistaat. Und jetzt werden ich und andere, die sich von der RAF getrennt haben, benutzt zur Rechtfertigung dessen, was ist und was passiert. Unser Interesse und unser Wunsch ist, in eine Situation zu kommen, wo dieses Benutztwerden endlich einmal aufhört.

Interview: Rolf Gramm