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Das Kino und der Tod

■ Videofilm von Hartmut Bitomsky, West 3, 22.30 Uhr

Der Titel ist trügerisch. Eigentlich müßte es heißen: das Kino und das Sterben. Der Tod ist ein Zustand. Das Kino zeigt gewöhnlich Ereignisse: den Augenblick, in dem das Leben endet. Die Schwierigkeit, den Tod sichtbar zu machen, verdeutlicht Hartmut Bitomsky, Filmdozent und Regisseur in München, anhand des Mordes in der Dusche in Psycho. Man schaut auf Filmfotos, die die Silhouette des Messers zeigen, den schreiend aufgerissenen Mund des Opfers, das Wasser, das sich mit Blut vermischt, und schließlich den starren Blick der Toten. Bitomsky kommentiert: „Es fließt Blut, aber man sieht keine Stichverletzung. Der Zuschauer glaubt einen Mord gesehen zu haben - doch er hat nicht stattgefunden. Kein verletzter Körper, keine Wunden.“

Hitchcocks Antwort auf die Frage, wie man den Tod darstellen kann, war die Aussparung, die Ellipse, und die Geschwindigkeit des Schnitts. Auf Fotografien aus Fritz Langs Hangmen also die sah man zuvor die Großaufnahme einer verkrampften Hand, die sich kraftlos entspannte, und dann die herunterbaumelnden Beine des Ermordeten. Der Tod im Kino - das ist eine Anzahl von Zeichen und Motiven, die Sterben bedeuten.

Anhand von Fotos aus 21 Filmen (von Griffith bis Cassavetes, von Fuller bis Bunuel) deutet Bitomsky auf Veränderungen dieser Zeichensprache. Ein Körper biegt sich, die Arme hochgerissen, aus klaffenden Wunden spritzen Blutfontänen. The Wild Bunch (1967) war eines der ersten Gegenstücke zu Hitchcocks Psycho. Um alles ganz genau zu zeigen, wurden die Bilder verlangsamt. Nun sah man, wie sich die Projektile in die Leiber bohrten. Die Zeitlupe machte das Sterben anschaulicher und gewöhnlicher (und die Zuschauer gleichgültig). Gleichzeitig wurden die Waffen immer größer und die Helden dahinter immer unwichtiger.

Das war etwas Neues: Das Sterben im Kino wurde zusehends maschinell und unpersönlich, so wie im Krieg. An die Stelle des klassischen Western-Showdowns rückt die Metzelei. Zerplatzende Leiber gehören seitdem zum Vokabular des populären Kinos ebenso wie die wahllose Schießerei, in der die Menschen noch nicht einmal mehr als Zielscheibe vorkommen. Bitomsky versteht dies als ein Reflex auf die Wirklichkeit und zitiert Siegfried Giedions Satz: „Je höher der Grad der Mechanisierung ist, um so mehr wird der Kontakt mit dem Tod aus dem Leben verdrängt.“

Auf pädagogische Appelle wider die mediale Verrohung und ideologiekritische Entlarvung verzichtet der Kommentar. Der Film sagt nichts, was wovon zu halten ist, sondern versucht einen Panoramablick auf ein weithin unerforschtes Gebiet. Zur Sprache kommen nicht nur politische und kulturkritische, sondern auch filmtheoretische und philosophische Ansichten. Man sieht zum Beispiel: Der Mord als Arbeit in Hitchcocks Torn curtain, der Tod als surrealer Schock im Andalusischen Hund, die Vereinigung von Lust und Tod im gemeinsamen Sterben der Liebenden in Duel in the sun, die Auferstehung der Toten, die als Zombies ihr Recht einklagen usw. Und natürlich: Das Kino als Medium, das von der Vergänglichkeit zeugt, so wie es Cocteau sagte: Einen Film machen heißt, dem Tod bei der Arbeit zuzuschauen. Aus jedem dieser Kapitel ließe sich ein eigener Film machen.

Das Kino und derTod ist einfach und unaufwendig aufgebaut. 45 Minuten lang sieht man, wie der Autor in seinem Arbeitszimmer Mordszenen zeigt und erläutert. Der Gebrauch von Fotos anstelle von Filmausschnitten schafft einen distanzierten Blick, der genug Raum und Aufmerksamkeit für die Texte läßt. Dieses recht spröde anmutende Verfahren funktioniert nur, weil die Kommentare den Fotos nicht zu viel Interpretation und dem Publikum keine Belehrungen zumuten. Filme ähneln Träumen, und Bitomsky bietet verhalten Traumdeutungen an, ohne uns mit Macht die Augen öffnen zu wollen. Daß man lebt, schreibt Bloch, ist eigentlich nicht recht zu spüren. Wer kann sagen, wann die eine Minute aufhört und die nächste beginnt, fragt Bitomsky. Vielleicht nützen die Kinotode, um das Endgültige gegen die Relativität des Daseins zu setzen. In suchenden, umkreisenden Bewegungen nähert sich Bitomsky der Faszination des Sterbens im Kino. Unberührt von dem Wunsch, die Vielfalt der Todesbilder auf einen Punkt zu bringen.

Stefan Reinecke

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